Traumprinzen als Spätlese

Was machen Schwule über vierzig? Für die Szene sind sie zu alt, amüsieren wollen sie sich trotzdem: erstmals „Golden Gays“-Wagen auf der CSD-Parade  ■ Von Tobias Rapp

Mittwoch abend im Bezirk Prenzlauer Berg, Rhinower Straße 8. Die ganze Stadt guckt Fußball, nur hier sitzen zwei Dutzend älterer Herren um ein paar Tische oder an der Bar und gehen ihrer üblichen Abendbeschäftigung nach: Trinken und Schwätzen. In der Ecke steht zwar ein Fernseher, aber die Mattscheibe ist blind. Doch obwohl alles darauf hinweist, ist dies kein Stammtisch des Schachvereins oder ein Treffen der Ortsgruppe einer Partei, sondern etwas Außergewöhnliches: der einzige öffentliche Treffpunkt älterer Schwuler in der Stadt. Die Atmosphäre gleicht einem öffentlichen Wohnzimmer.

„Als wir unsere Gruppe vor fünf Jahren ins Leben riefen, gab es in Berlin keinen Treffpunkt älterer Schwuler“, erzählt Gerd Hoffmeister, 55 Jahre alt und einer der Initiatoren. „Aber es gab ein großes Bedürfnis nach Kontakt und Kommunikation.“ So inserierte er im Schwulenmagazin „Siegessäule“, und die Gruppe begann sich regelmäßig zu treffen.

Thomas kam vor vier Jahren dazu. Mit seinen 55 Jahren fühlte er sich irgendwann in Schwulenbars nicht mehr gut aufgehoben. „Ab einem gewissen Alter gibt es mit dem Abschleppen Probleme“, meint er, „je älter man wird, desto stärker sinkt der Marktwert.“ Doch vielen älteren Schwulen macht anderes zu schaffen als nur der Jugendkult. Ihm gehe es zwar nicht so, weil er schon als junger Schwuler „schlimm unterwegs“ gewesen sei, aber viele ältere Schwule hätten grundsätzliche Probleme mit der Szene. Wer jahrelang mit Frau und Familie zusammengelebt und kein Coming- out im üblichen Sinne gehabt habe, für den seien die Szenespielregeln nicht gemacht.

Zwar hätten sie nie eine therapeutischen Ansatz gehabt, so Gerd Hoffmeister, aber zu Anfang habe es viele Gespräche und Diskussionen gegeben, was die einzelnen denn überhaupt verbinde, jenseits des Älterwerdens. Doch seien die Gesprächsgruppen mit der Zeit eingeschlafen.

Mittlerweile gehe es vor allem um ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Er als über 50jähriger habe noch die Zeiten der Angst vor dem Paragraphen 175 erlebt, als die einzigen gemeinsamen schwulen Orte Bars mit Gesichtskontrolle waren, so Hoffmeister. „Wenn man die verlassen hat, stand man wieder auf der Straße und war alleine.“ Das Zusammengehörigkeitsgefühl der gay community kam erst nach den Ereignissen in der Christopher Street auf. Community ist vor allem für die älteren Schwulen wichtig, da viele im Alter vereinsamen. Natürlich sei der Mittwochabend auch als Heiratsmarkt beliebt, Freundschaften seien aber wichtiger.

„Es geht uns auch darum eine neues Selbstverständnis als ältere Schwule zu definieren und von der Rolle als unsichtbare Minorität wegzukommen“, erklärt Gerd Hoffmeister. Nur so könne man Klischees entgegenwirken, wie dem alternden Schwulen, der hübschen Jungs hinterhersteigt. „So etwas entsteht, wenn es außerhalb von Bars keinen öffentlichen Raum gibt, wo sich Ältere treffen können.“ Gerade in der Schwulenkultur, mit ihrer Fetischisierung junger Körper werde es schwierig, wenn das Fleisch schlaffer wird. Es gebe keine Kontinuität oder Tradition, auf die sich die gay greys beziehen könnten.

Auch bei der heutigen Christopher Street Day Parade werden die „Golden Gays“ Flagge zeigen. Den Oldiebus wollte die BVG aus Angst vor Beschädigung zwar nicht herausrücken, also gibt es einen normalen girlandengeschmückter Laster.

Die „Schwulen über vierzig“ treffen sich mittwochs ab 19 Uhr im Sonntagsclub, Rhinower Straße 8