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Bittere Pille als einzige Chance

■ Lesben- und Schwulenprojekte werden scheibchenweise um 10 Prozent gekürzt. Ein Vertrag zur dreijährigen Absicherung wäre ein Ausweg, ist aber noch umstritten

Den Lesben- und Schwulenprojekten steht das Wasser bis zum Hals. Scheibchenweise wird die magere öffentliche Förderung gekürzt, in diesem Jahr zehn Prozent, für 1997 sollen noch einmal zehn Prozent abgeknapst werden. Dabei hat das Land Berlin ohnehin nur 600.000 Mark für neun Lesben- und Schwulenprojekte übrig. Damit gibt der Senat für jeden der schätzungsweise 300.000 Berliner Homosexuellen gerade mal zwei Mark aus. Mit diesem Etat leisten die Projekte umfassende Beratungs-, Aufklärungs- und Anti-Gewalt-Arbeit. Dabei liest sich schon der Stellenplan wie Flickwerk: Finanziert werden gegenwärtig zwei ganze, drei Dreiviertelstellen und eine halbe feste Stelle.

Am schlimmsten wirkt sich der Sparkurs bei den Projekten im Ostteil der Stadt aus, deren ABM- Stellen zum Ende des Jahres auslaufen. Beim Sonntagsclub, einem Kommunikationszentrum für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle in Prenzlauer Berg, laufen fünf von acht ABM-Stellen in diesem Jahr aus. Ende April kam die Zusage der Senatsverwaltung für Jugend, daß zwei Stellen bis zum Ende des Jahres als feste Stellen finanziert werden. Wie es nach dem 1. Januar 1997 weitergehen soll, ist aber völlig ungewiß. 100.000 Mark müßten für die beiden Stellen aufgewendet werden. Die Entscheidung soll im September fallen. „Wenn die beiden Stellen im nächsten Jahr nicht weiter finanziert werden, müssen wir die Beratung von Transsexuellen einstellen“, sagt Sonntagsclub-Mitarbeiterin Ilona Radandt. Der Sonntagsclub ist stadtweit die einzige Anlaufstelle für Transsexuelle.

Von Mangel geprägt ist auch die Situation des Lesbenarchivs Spinnboden. Die Bestandsbibliothek mit Zeitschriften und Videos muß aufgrund der Kürzungen mit zwei halben Stellen geführt werden. Zuvor war eine der beiden Stellen noch mit einem 30-Stunden-Umfang ausgestattet. Das Archiv sah sich gezwungen, die Öffnungszeiten um vier Stunden zu verkürzen. Für den Ankauf von Büchern und Zeitschriften gibt es keinerlei Sachmittel. „Im Moment können wir überhaupt keine Neuerscheinungen kaufen“, sagt Spinnboden-Mitarbeiterin Marlies Rüster. Spinnboden ist auf Buchspenden und Rezensionsexemplare von Verlagen angewiesen. Gleichzeitig registrieren die Mitarbeiterinnen einen Rückgang bei Spenden und Mitgliedsbeiträgen.

„Es muß endlich Planungssicherheit für mindestens fünf Jahre geschaffen werden“, fordert die lesbenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Ida Schillen. Seit einem halben Jahr diskutiert das lesbisch-schwule Projektetreffen über ein Alternativmodell: statt Einzelverträgen für jedes Projekt könnte auch ein Gesamtpaket geschnürt werden. Analog zu den Aidsprojekten, deren Etat vom Landesverband der Berliner Aids- Selbsthilfeprojekte (Labas) verwaltet wird, könnte der Etat der Lesben- und Schwulenprojekte von der Liga der Wohlfahrtsverbände verwaltet werden.

Die Liga hat erst vor kurzem die Regie über einen 42 Millionen starken Etat für soziale Projekte übernommen. Der Vorteil für die Projekte wäre eine mittelfristige Absicherung, auf Senatsseite könnten Verwaltungsstellen gestrichen werden. Der Haken an der Sache: Schon beim Vertrag zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit und der Liga der Wohlfahrtsverbände mußten diese eine 20prozentige Kürzung hinnehmen. Die Kürzungen muß nun die Liga vornehmen, der Senat ist den Schwarzen Peter los.

Auch für die Lesben- und Schwulenprojekte wäre der Preis für eine dreijährige Absicherung „drastische Kürzungen“ beim Gesamtetat. Das ließ Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) am Mittwoch abend bei einer Diskussionsveranstaltung der Schwulen Sozialdemokraten durchblicken.

„Das Liga-Modell ist eine bittere Pille“, räumt Labas-Geschäftsführer Dieter Telge ein, „aber es ist die einzige Chance, die Projekte abzusichern.“ Es sei immer noch besser, als „jährliche Abwehrschlachten“ zu führen. Für die Aids-Projekte, deren Etat von 1993 bis 1996 durch den Vertrag eingefroren worden war, hätte sich das Modell bewährt. Es gelte, für die Lesben- und Schwulenprojekte ein akzeptables Verhandlungsergebnis zu erzielen.

Doch bei den Projekten reichen die Reaktionen auf das Liga-Modell von Skepsis bis zur vorsichtigen Zustimmung. „Der Druck darf nicht nach innen abgegeben werden“, sagt Heiko Kleyböcker vom Jugendnetzwerk Lambda. Es müsse durch den Vertrag ausgeschlossen werden, daß die Projekte untereinander in einen Verteilungskampf getrieben werden. Lambda ist nicht abgeneigt, hat sich aber noch nicht festgelegt. Andere wiederum befürchten, daß gerade ihr Projekt oder ihre Stelle einer Kürzung zum Opfer fallen könnte. Eine einheitliche Linie ist noch nicht in Sicht. Dorothee Winden

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