Als ob sich das Leben selbst zuschaut

■ Ein Film über Türken, mal ungetürkt: „Vor der Hochzeit“, So., 23.30 Uhr, ZDF

Sie heißt Berlin und lebt in Kreuzberg. Momentan führt die 21jährige ein Leben „Vor der Hochzeit“, so der Titel des Dokumentarfilms, mit dem Antonia Lerch sich nach „Sieben Freundinnen“ (1994) zum zweiten Mal mit der speziellen Situation in Deutschland geborener Türkinnen und Türken auseinandersetzt.

Berlin arbeitet als Pflegehilfe in einem Krankenhaus. Sie möchte Stewardeß werden, die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und „am liebsten einen Deutschen heiraten“. Oder einen Mann, „den ich liebe“. Mit diesem Wunsch gerät sie in einen Konflikt mit den Eltern: „Sie denken immer, ach, wenn sie einen Türken heiratet, dann wird sie halt glücklich, egal ob sie ihn liebt oder nicht. Später wird sie ihn ja lieben ... (minimale Pause) müssen.“

Dieser Konflikt zwischen der türkischen und der deutschen Kultur, die ganze Palette der Ängste und Vorurteile, findet in der Protagonistin Berlin seinen minutiösen Ausdruck. In langen Gesprächen mit dem Bruder Sezgin und den unterschiedlichen Schwestern Nermin und Belgin sowie einigen deutschen Freunden wird immer wieder das gleiche Thema ventiliert: Durch die Heirat entkommt die türkische Tochter der Macht des Vaters, dessen Autorität sie dennoch duldsam respektiert. Um nach der Eheschließung nicht in ein neues Gefängnis gesperrt zu werden, will sie ihren Ehemann allerdings selbst aussuchen, was wiederum gegen die Regel verstößt.

Der Versuch, türkische und deutsch geprägte Vorstellungen unter einen Hut zu bringen, führt zu engagierten Gesprächen, an deren charmanter Widersprüchlichkeit sich der Film abarbeitet. Die Kamera bleibt wie schon in „Sieben Freundinnen“ so dicht und unmittelbar am Geschehen, als wäre sie gar nicht da. Fast ist es so, als ob das Leben sich selbstvergessen bei der Arbeit zugesehen hätte.

Ob am Küchentisch, in der Umkleidekabine oder auf der Parkbank: Die mitgeschnittenen Unterhaltungen sind spontaner Ausdruck der jeweiligen Situation. Die Gespräche der Türken sind nicht getürkt, zwischen Kamera und Beobachteten findet keinerlei Übertragung statt.

Trotz dieser dokumentarisch- kommentarlosen Direktheit gelingt es Antonia Lerch, einen erzählerischen Bogen zu spannen. Ungewöhnlich für einen Dokumentarfilm, werden Szenen in Schuß/Gegenschuß gegliedert, was dem Film trotz seiner schmucklosen Nacktheit eine fast spielfilmartige Dynamik verleiht. Manfred Riepe