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Die langen Tage von Hanstholm

Norwegen will das Walfangen und Greenpeace das Walfängerfangen nicht sein lassen. Doch statt zum Kampf auf hohem Meer kam es diesmal bis auf weiteres nur zu einem Geduldspiel  ■ Aus Hanstholm Philipp Maußhardt

Schwül und wolkig war der Nachmittag. An Deck lungerten die Leute herum und blickten gedankenlos aufs bleigraue Wasser“ (Herman Melville, „Moby Dick“).

Warten gehört zum Walfang wie zu jeder Jagd. Es war Mitte Juni dieses Jahres, und schon in der zweiten Woche lag die „Minke Warrior“ im norddänischen Hafen Hanstholm an der Mole fest in der Hoffnung auf besseres Wetter. Nur der Skagerrak, die Einfahrt zur Ostsee, trennte das Greenpeace- Schiff noch von der norwegischen Walfangflotte, die seit 20. Mai wieder im Nordatlantik auf Jagd geht. 425 Minkwale, besser als Zwergwale bekannt, hat die norwegische Regierung zum Abschuß in diesem Jahr freigegeben, fast doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren.

Die hohe Quote ist eine gezielte Provokation gegenüber der Internationalen Walfangkommission (IWC), die in dieser Woche im schottischen Aberdeen tagte. Schon 1986 erließ die IWC ein vorläufiges Fangverbot, doch Norwegen scherte sich nicht darum, legte Einspruch ein und schickte seine Fischerflotte weiterhin hinaus aufs Meer. Kritik am Walfang ist für Norweger „Einmischung in innere Angelegenheiten“ des Landes.

Seither wiederholt sich ein Ritual: Sobald die Walsaison eröffnt ist, demonstrieren Tier- und Umweltschützer gegen das Töten der Wale, die nicht erst, seit sie mit „Moby Dick“ einen Vor- und Zunamen erhielten, einen Spitzenplatz in der vom Menschen aufgestellten Hierarchie der Lebewesen eingenommen haben, gleich neben Pandabären und Robbenbabys.

Vor zwei Jahren, im Sommer 1994, waren die Auseinandersetzungen eskaliert: Greenpeace-Aktivisten hatten sich mit ihren Schlauchbooten zwischen Wale und Bordkanone der Walfänger geworfen. Gleichzeitig enterten Mitglieder der Umweltorganisation das Boot der Fischer. Doch auf hoher See sind die Sitten rauh: Währen die Fischer die Umweltpiraten über Bord ins Wasser warfen, brachte die herbeigeeilte norwegische Küstenwache durch riskante Manöver die Besatzung des Greenpeace-Schiffes in ernste Gefahr. Am Ende waren die Demonstranten überwältigt, das Greenpeace-Boot beschlagnahmt und alle Beteiligten im norwegischen Hafen Egersund unter Arrest gestellt – so lange, bis die Walfangsaison zu Ende war.

Mit der öffentlichen Kampagne gegen Norwegen stieg dort der Trotz. Niemals werde man mit dem Walfang aufhören, tönte der Fischereiminister. Dabei ist der Walfang wirtschaftlich für Norwegen ein kleiner Fisch. Gerade 300 Menschen leben davon. Und weil die Wale als bedrohte Art eingestuft werden, ist jeglicher Export von Walfleisch verboten. Norwegens Tiefkühlhäuser sind vollgestopft mit Walfleisch und Walfett (Blubber), das sich im Inland nicht verkaufen läßt, denn kaum ein Norweger will den derzeitigen Kilopreis für Walfleisch von etwa sechs Mark bezahlen.

Ganz anders sieht das allerdings die Kundschaft in Japan. Hier gilt Walfleisch als Delikatesse und erzielt pro Kilo den Wahnsinnspreis von mehreren hundert Dollar. Das ist der Punkt, warum die Norweger so wild darauf sind, ihre Fangflotte und die Infrastruktur zu erhalten: Norwegen hofft, daß Minkwale in absehbarer Zeit nicht mehr als bedroht gelten. Dann wäre der Weg zum profitablen Export frei. Argumente der Walfischerlobby, wonach die Jagd auf die Meeressäuger zur Tradition in Norwegen gehöre und ein Stück Landeskultur sei, klingen dagegen lächerlich. Auch die Deutschen oder die Dänen könnten darauf pochen, doch haben sie ihre Harpunen schon vor einem Jahrzehnt eingemottet. Heute treffen sich die alten Seebären nur noch zum „Stammtisch ehemaliger Walfischer“ in einer Hamburger Kneipe.

Von Hamburg aus startete am 10. Juni die Minke Warrior. Greenpeace hatte das 20 Jahre alte Schiff eine Woche zuvor in Amsterdam für eine halbe Million Mark gekauft und in einer Blitzaktion für die Jagd auf Walfänger umgerüstet. Bis dahin hörte das 32 Meter lange Boot auf den schönen Namen „Maria“, lief unter der Flagge der Karibikinsel St. Vincent und diente als Versorgungsschiff im Hafen von Amsterdam. Jetzt aber hat es alle Insignien, die den alten Kutter als Walfängerjäger zu erkennen gaben: vier Schlauchboote auf dem Vorderdeck, eine 4.000-Watt-Alarmsirene am Bug, Nebelwerfer und auf der Brücke modernste Übertragungstechnik für elektronische Bilder.

Greenpeace-„Spione“ an Land hatten vier der insgesamt 35 norwegischen Walfangboote im Hafen von Kristiansand gesichtet. Der südlichste Hafen Norwegens liegt nicht weit entfernt von der „Kleinen Fischerbank“, einem der fischreichsten Fanggründe der Nordsee zwischen Norwegen und Schottland. Dort sollte die Minke Warrior die Walfänger stellen.

Doch 36 Stunden nachdem das Schiff Cuxhaven passiert hatte, war der Wind auf Stärke sieben angeschwollen und hatte Wellen aufgeworfen, die den Walfängern die Jagd unmöglich machten. Sie brauchen ruhige See, um die Tiere beim Luftholen an der Wasseroberfläche zu orten. Dann schleudert die Bordkanone eine Harpune in den Rücken des Wals, die 40 Zentimeter tief in den Körper eindringt und dort explodiert. Hat der Wal Glück, stirbt er in wenigen Minuten. Todeskämpfe von einer halben Stunde sind aber nicht selten.

Für die 17köpfige Crew der Minke Warrior begann das lange Warten. Weil die norwegische Küstenwache allen Greenpeace- Schiffen die Einfahrt in die 12-Meilen-Zone verwehrt, legte Kapitän David Enever im dänischen Hanstholm an – ein trostloser Fischindustriehafen, in dessen Kühlhäusern die Meerestiere zur Unkenntlichkeit filettiert, quadratisch zugeschnitten, eingedost oder zu Mehl verarbeitet werden. Wer hier noch Appetit auf Fisch hat, kann ihn sich dann vollends in der Hafencafeteria abgewöhnen: mit in altem Öl gebackenen Hackfischbuletten auf schlechter Mayonnaise.

Am achten Tag nach der Abfahrt aus Hamburg sah die erste Maatin an Bord, Margaretha Bunnik, drei Seemeilen steuerbord voraus ein Schiff mit deutlich erkennbarer Bordkanone am Bug. Es war endlich soweit, die Minke Warrior war tags zuvor von Hanstholm ausgelaufen und hatte nun den ersten norwegischen Walfänger vor sich, das nur 17 Meter lange Holzschiff „Senet“. Der Name hatte unter der Greenpeace- Mannschaft ein lautes Hallo hervorgerufen. Immer wieder war in der Vergangenheit ausgerechnet dieses Schiff den Walschützern in die Arme gelaufen, und sein Besitzer, Arvid Enghaugen, muß allmählich glauben, die Störaktionen der Tierschützer gelten ihm persönlich. Enghaugen darf in dieser Saison neun Minkwale schießen. Seinen ersten erlegte er bereits am 23. Mai, nur drei Tage nach Eröffnung der Fangsaison.

Die Senet ist wie auch die anderen Boote der Walfänger kein großer Kahn. Die bis zu zehn Meter langen und zehn Tonnen schweren toten Wale werden von der fünfköpfigen Schiffsbesatzung über die Längsseite aufs Schiff gezogen und sofort zerlegt, Skelett und Innereien werden über Bord geworfen. Übrig bleiben knapp zwei Tonnen Fleisch. Damit alles „ordnungsgemäß“ zugeht, ist auf jedes Walfangboot ein norwegischer „Inspektor“ verpflichtet. Seine Anwesenheit soll Kritiker beruhigen, die das Töten der Tiere als grausam empfinden. Nachdem der Kapitän der Senet die Verfolgung durch das Greenpeace-Schiff registrierte, drehte er ab und fuhr nach Norwegen zurück.

Wieder lagen die Greenpeacer in Hanstholm und warteten. Unter den dänischen Fischern hatte sich allmählich herumgesprochen, was für ein Schiff da bei ihnen im Hafen lag. Greenpeace ist ihnen verhaßt. „Ihr macht den Fischfang kaputt“, sagte ein Däne abends im „Krug“ von Hanstholm, ehe er der Schiffsbesatzung eine Runde Tuborg- Bier spendierte: „Aber sagt nicht, von wem.“

Jeden Morgen entluden vor den Augen der Greenpeace-Leute in Hanstholm auch jene Gammelfischer ihre Fracht, die vor der schottischen Küste die Sandbänke leerräumen. Das Gemisch aus kleinen Fischen, Muscheln und Fischlaich wird in Hanstholm zu Fischmehl verarbeitet. Erst in dieser Woche hatte das Greenpeace-Schiff „Sirius“ gegen die Plünderung der ökologisch wichtigen Sandbänke protestiert. Die Dänen beschossen sie daraufhin mit Leuchtmunition. In Hanstholm töteten sie derweil nur mit Blicken. Sie wünschten sehnlichst besseres Wetter herbei und die Minke Warrior hinaus auf die See.

Nur der Wirt vom Seemannsheim war guter Laune, wenn zur Übertragung der Fußballspiele die durstige Schiffsmannschaft bei ihm einlief. Die langen Tage von Hanstholm füllte Kapitän Dave mit kenntnisreichen Erläuterungen zur Taktik der englischen Fußballer, Mark schrubbte zum x-ten Mal das Deck, Köchin Fiona erdachte immer neue irische Gerichte, und der Direktor von Greenpeace Niederlande, Geert Driemann, weichte allmählich von seinen täglichen Sitzungen in der Sauna von Hanstholm auf.

Längst wußten die Norweger von der lauernden Gefahr jenseits des Skagerrak. Die Dänen hatten ihre Kollegen gewarnt. So war der Überraschungscoup, den Greenpeace geplant hatte, fürs erste mißglückt. Nun spielten beide Seiten auf Taktik. Um ihre Verfolger zu verwirren, wechselten die Fischer in Norwegen mehrfach ihre Hafenplätze. Greenpeace orderte ein Flugzeug und ließ die Boote aus der Luft beobachten.

Was die Taktik angeht, so stehen die Walfischer den Umweltaktivisten inzwischen in nichts nach. Während in dieser Woche die Internationale Walfangkommission tagte, blieben die Fischer nicht nur des Wetters wegen zu Hause. Sie wollten Greenpeace in dieser Zeit keinen Anlaß zu medienwirksamen Protesten geben. Nächste Woche werden die Delegierten wieder abgereist sein, und bis 18. Juli ist noch Zeit für den Walfang. Nur mit der Geduld ihrer Gegner haben die Fischer nicht gerechnet.

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