Nur Quittungen im Geldbeutel

Erste Erfahrungen mit dem Pilotversuch „Elektronische Geldbörse“ in Schwaben. Datenschützer warnen vergeblich vor Mißbrauch  ■ Aus Ravensburg Jürgen Bischoff

Die Bedienung im Bistro „Kupferle“ am Ravensburger Marienplatz ist ganz zuversichtlich, daß sie auch in Zukunft ihre Trinkgelder bekommen wird. „Irgendwie werden wir das schon noch aus dem Kassenumsatz rausrechnen“, sagt sie zu dem Gast, der sein Bier mit der neuen „Geldkarte“ bezahlen will. Die wurde Ende März von den Banken in der Region Ravensburg/Weingarten eingeführt.

„Elektronische Geldbörse“ nennt sich das System und funktioniert auf der Basis eines aufladbaren Chips, der in die Eurocheque- Karte integriert ist. Statt am Geldautomaten Scheine abzuholen, können sich 80.000 VerbraucherInnen in der Testregion am Bodensee einfach bis zu 400 Mark auf ihren Chip buchen lassen und dann damit bezahlen. An die 700 Stellen – von der Bäckereikette bis zum Cabaret „Blauer Engel“, vom „Pianohaus Boger“ bis zum Einwohnermeldeamt – nehmen an dem Feldversuch der deutschen Bankwirtschaft teil.

Den Geschäftsleuten wurden kleine Terminals hingestellt, die den Pinpads ähneln, die bundesweit für Kreditkarten in Gebrauch sind. Doch während beim „Electronic Cash“ eine Onlineverbindung mit dem kontoführenden Computer aufgenommen und der Betrag direkt vom Konto abgebucht wird, bleibt die Zahlung mit der Geldkarte weitgehend anonym. Das Guthaben wird von der Karte elektronisch transferiert auf einen Speicher beim Händler, der wiederum einmal am Tag die Umsätze als Daten an seine Bank zur Gutschrift sendet. Das spart teure Verbindungskosten.

Die Sicherung gegen Verlust ist kompliziert

Einzelne Transaktionen lassen sich mit einigem Aufwand noch nachvollziehen. Allerdings: Das scheint auch notwendig zu sein, denn wenn einmal der Chip versagt, muß man rekonstruieren können, welche Umsätze zuletzt mit der Karte getätigt worden sind. Sonst ist das elektronische Portemonnaie nämlich schlagartig leer.

Vor allen Dingen dort, wo der Zahlungsverkehr automatisiert ist, also beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr, an Waren- und anderen Automaten, ist zu erwarten, daß in Zukunft mit der elektronischen Geldbörse bezahlt wird. Im Alltagsgeschäft ist dagegen der Zahlungsvorgang ziemlich bürokratisch: Ein Eis an der Tankstelle, gewöhnlich schnell gegen einen silberglänzenden Adenauer eingetauscht, erfordert das Einführen der Geldkarte auf Kommando der Kassiererin, das Bestätigen der abzubuchenden Summe auf dem Pinpad, sobald das Terminal freigeschaltet ist. Schließlich gibt es dann nicht nur den Kassenbon, sondern auch den Durchschlag einer Abbuchungsquittung aus dem Pinpad- Drucker. Wer zwischendurch wissen will, wieviel Geld übrig ist, vertauscht den Blick ins Portemonnaie mit dem Blick auf ein kleines Lesegerät, das von nun an wohl die Taschen ausbeult.

Ausländische Erfahrungen mit ähnlichen Zahlungsarten zeigen, daß gerade beim Kleinumsatz das Bargeld kaum substituiert wird. Ernst Piller, in Österreich mitverantwortlich für ein ähnliches Pilotprojekt: „Am schwierigsten ist es dort, wo es um sehr schnelles Bezahlen geht, wie zum Beispiel bei den Kiosken, wo das Geld schon auf die Zeitung draufgelegt wird.“ Die meisten Verbraucher haben laut Piller nur wenig mit der Geldkarte umgesetzt: im Durchschnitt 13 Mark pro Jahr, weil viele die Karte kaum benutzten.

Universitäten als Partner beim Vermarkten

Ein Geschäft wittern die Banken allerdings an den Universitäten, die ihren Studenten eine multifunktionale Chipkarte als Studentenausweis, Bibliothekskarte und Semesterticket verpassen wollen. Mit Geldkartenfunktion könnten sie auch in der Mensa zahlen. Die Zusammenarbeit mit den Unis soll langfristig Kunden binden und gerade durch die Einbeziehung einer eher als kritisch eingeschätzten Gruppe für schnellere Akzeptanz der neuen Technik in der Gesellschaft sorgen.

Doch es hapert mit dem Datenschutz. Kein geringerer als ausgerechnet Jürgen Dethloff, Erfinder der Chipkarte, warnte im Januar vor den „falschen Anfängen“: „Wir leben bei dieser Zahlungsart im Zweifelsfalle nicht mehr anonym. Wir müssen aber unter allen Umständen die Anonymität des Zahlungsverkehrs sichern, um die Bildung von Psychosen zu verhindern.“ Wobei Dethloff einen neue datenschutzrechtlich motivierte Boykottbewegung wie seinerzeit bei der Volkszählung im Auge hatte. Dethloff forderte eine komplette Umstrukturierung des Systemdesigns für den Geldkarten- Chip.

Durchgesetzt hat er sich mit seiner Forderung nicht. Schon vor Abschluß des Ravensburger Pilotprojekts läuft in diesen Wochen die Produktion von 21 Millionen weiteren Karten an. Zum Jahresende oder gar schon im Herbst sollen dann alle bundesdeutschen Eurocheque-Kunden eine bekommen. Dann soll auch bundesweit mit Kleingeld vom Datenspeicher bezahlt werden können.