■ Ökolumne
: Tote Postkutsche Von Florian Marten

Sie bieten sechs bis acht Menschen sowie ein paar hundert Kilogramm Gepäck Platz und ermöglichen dank ihrer großvolumigen Tanks den vielhundertkilometrigen Ausritt über die Betonprärie – mit dem Familienwagen von heute hat die Automobilindustrie den absoluten Gipfel des Postkutschenzeitalters erklommen: Die Kutsche für alle.

Auch beim Wettlauf der Konzerne um das Gefährt der Zukunft ist die Kutsche noch das Maß aller Dinge: Egal ob 3-Liter-Kiste oder Weltauto-Plattform – an der Norm des viersitzigen „Familienwagens“ (VW) mit hoher Geschwindigkeit, Langstreckentauglichkeit und Lasteselqualitäten wird nicht gerüttelt. Und wagt es einer, wie jetzt Mercedes mit seinem zweisitzigen Smart-Car, der bürgerlich-adligen Mobilitätsnostalgie des 19.Jahrhunderts leise Servus zu sagen, erntet er von der Konkurrenz nur Spott: „Man muß sich natürlich fragen“, so VW-Sprecher Günther Scherelis, „ob ein Zweisitzer überhaupt ein Auto ist.“ Weit eher ist zu fragen, ob VW nicht den Anschluß an die Zukunft des Automobilismus verliert. Das Auto der Zukunft ist klein, leicht und modular. Neue Leichtmotorenkonzepte (Elektromotor, Gasmotor), ergänzt um pfiffige Energiespeicher (Leichtbatterien, Schwungräder), werden den Verbrennungsmotor im Pkw endlich verdrängen.

Das dürfte nicht schwerfallen. Schließlich findet sich in der Industriegeschichte kaum eine ähnlich ineffiziente Maschine: In welchem Betrieb werden schon 150 PS, 1,5 Tonnen Stahl und ein hochexplosiver, extrem umweltbelastender Energieträger eingesetzt, um Brötchen zu holen oder 75 Kilo Gewicht mit 25 Stundenkilometer ein paar Kilometer weiter zu befördern. Und wer fönt seine Haare mit dem Flammenwerfer?

Das Auto der Zukunft orientiert sich an realen Fortbewegungsbedürfnissen und nicht an Statusneurosen, die PS als Potenzsurrogat und Fahrzeuggewicht als Ausdruck von Wohlstand deuten. Die – meist männlichen – Neurotiker werden schon andere Spielwiesen für ihre unabweisbaren Bedürfnisse finden. Wir müssen dieses Zukunftsgefährt auch nicht privat besitzen. Das Volksauto des 21. Jahrhunderts wird per Car-sharing die öffentlichen Verkehrsmittel dort ergänzen, wo Linienverkehr und Fahrpläne keinen Sinn machen. Die hochgerüsteten privaten Blechpanzer, die heute unsere Städte zumüllen, werden ersetzt durch ein freundliches Mobilitätsinventar, welches allen zur Verfügung steht. Das heutige Car-sharing und die französischen E-Stadtauto-Konzepte in La Rochelle und Straßburg nehmen diesen Zukunft bereits vorweg.

Derzeit sieht es nicht danach aus, als seien die heutigen Autokonzerne in der Lage, den Übergang aus dem Kutschenzeitalter selbst zu bewerkstelligen. Zu sehr sind ihre Ingenieure, ihre Marketingleute und ihre Renditekonzepte der automobilen Vergangenheit verhaftet. Viel eher dürfte die Automobilindustrie des 21. Jahrhunderts aus einem Zusammengehen jener oft winzigen Betriebe und Branchen stammen, in denen das Know-how für Produktion und Vermarktung der flexiblen Leichtmobile bereits vorhanden ist: Segelflugzeugbau und Yachtbau (Kunststoff- und Leichtbauerfahrung), Fahrradindustrie, unabhängige E-Autohersteller, Batteriespezialisten, Forscherteams im Leichtmotorenbau und schließlich Car-sharing-betreiber, Mobilitätsberater und andere Dienstleister.

Wäre Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder wirklich ein Vorreiter der ökologischen Modernisierung, er hätte VW schon längst auf den Pfad wirklicher Innovation geführt, der einzige Pfad übrigens, auf dem sich die wirtschaftlichen Probleme des Standorts Deutschlands lösen lassen. Denn: Wer als erster ein ausgereiftes Leichtfahrzeug anbietet, das technisch für einen Bruchteil jener mehr als drei Milliarden Mark zu entwickeln ist, die VW derzeit in die vierte Überarbeitung seines Modells Golf pumpt, wird den Untergang der alten Kutschenindustrien einläuten. Die Kutsche ist tot. Es lebe das Automobil.