Flickwerk der Superlative

■ Lieb- und geistlos: „Black and Blue“ im Thalia-Theater

Freitag abend. Das Thalia-Theater bebt. Die Zuschauer jubeln. Dabei war alles so traurig: Was da an Flickschusterei auf der Bühne geboten wurde, das erinnert an die derzeitige Katastrophe in einer anderen Sparte, im sogenannten „russischen Ballett“. Den Geist des alten russischen Trainings gibt es nicht mehr. Statt dessen nutzen Impresarios die Lage der vielen arbeitslosen Tänzer aus, kaufen sich einige davon zusammen und gehen mit dem „Original Bolschoi-Ballett“ auf Tournee. Die Zuschauer klatschen, die Tänzer vollbringen halsbrecherische Kraftakte, doch der Geist fehlt.

So auch in Black and Blue, einer „Show der Superlative“, die mit der „großen Musik des Harlem des 20. Jahrhunderts“ aufwarten will und die mit ihren Tony Award-Preisträgern und einem Steptanz-Wunderkind das Publikum zum Toben brachte. Alles erschien aneinandergereiht, zusammengekauft, billig und ohne „spirit“. Manche Darsteller sind phänomenal, bei anderen fragt man sich, warum sie auf die Bühne dürfen – etwa wenn ein Tänzer beinahe die Nerven verliert ob des Schrittmaterials, während ein anderer sich verstohlen umblickt, ob er noch in Reihe steht. Man muß die harten Sitten am Broadway der 30er Jahre nicht mögen, aber damals wurde noch darauf geachtet, daß jede Bewegung sitzt.

Doch kommen wir zu den Höhepunkten: Einer heißt Maxine Weldon und singt mit verhaltenem Charme, doch auch kraftvoll – in verführerischem Wechsel. Sie ist mit dem „St. Louis Blues“ und „I've Got A Right To Sing The Blues“ die Diva des Abends. Leider wird sie übertönt von Linda Hopkins, die als kreischende Ulknudel den größten Teil der Show bestreiten muß. Von „Body And Soul“, quäkig und übertrieben laut gesungen von Byrdie Green und begleitet von einem aufdringlich durchspielenden Band-Arrangement, mag man gar nicht reden.

Überhaupt spielt das Orchester zu oft in gleichförmiger James Last-Manier, wodurch die Steptänzer dann keine Chance haben, sich durchzusetzen – und rhythmisch leicht danebenliegen. Und das 13jährige „Steptanz-Wunder“ ist eher ein Breaker als ein Stepper. Doch was macht das schon, Hauptsache das Kind ist schwarz und seine Leistung olympisch.

Ein weiterer Star ist die Tänzerin Michelle Robinson, die auch wunderbar singen kann. Aber ihr „I'm Confessing“ wird getrübt durch die affige Choreographie, bei der sie bedeutungsvoll am weißen Kunstpelz zupfen muß, damit die langweiligen Trippelschritte nicht allzusehr auffallen. Über derartige Längen helfen auch Bühneneffekte und Kostümwechsel nicht hinweg, auch wenn Vorhänge aus rotem Samt den Raum in verschieden wählbare Streifen einteilen und fahrbare Kästen die Tänzer abtransportieren.

Gabriele Wittmann