Zwei Tempi des Wandels

■ Der 1. Tag der Architektur in Hamburg war ein großer Erfolg

Das Tempo des Wandels in der Stadt kann man nach wie vor beim Tachostand „unbedacht übereilig“ ablesen. Gerade dort, wo es um eine angebliche Veredelung und Ertragssteigerung geht, sterben Stadtorganismen ab oder kommen überhaupt nicht erst zur Entfaltung. Die Beispiele dafür sind altbekannt und oft wiederholt worden: Das Implantat von architektonisch unbefriedigenden Büroriesen an der Ost-West-Straße, der Fleetachse oder in Hammerbrook schafft Orte, die menschenleerer sind als mancher Bergpfad oder so belastend wie ein altes DDR-Kombinat.

Der Wechsel zur Hafenseite vermittelt da ein ganz anderes Bild des Wandels, sowohl seines Tempos als auch seiner Qualitäten. Im Rahmen einer Barkassenfahrt, die die Hamburgische Architektenkammer als eine von sieben Touren zum 1. Tag der Architektur organisiert hatte, ließ sich am Sonnabend ein Blick in diesen völlig eigenen Kosmos werfen. Durch die kompetente Begleitung des Leiters des Speicherstadtmuseums Henning Rademacher erfuhren die Mitreisenden eben jene Dinge, die normale Rundfahrten unter Chauviwitzen und Seemannsgarn begraben halten. Historisches, etwa über das ehemalige Außenlager des KZs Neuengamme bei Blohm und Voss, wo bis Kriegsende bis zu 400 Häftlinge Kriegsschiffe montieren mußten, die Sonderrechte der früheren CSSR im Moldauhafen oder die von den Nazis errichteten Getreidesilos am Reiherstieg in Wilhelmsburg, die später die Sowjetunion als zentrales Verteilerlager für ihr Land nutzte, schuf Hintergründe. Durch das unbekümmerte Beieinander von Alt und Neu und den fehlenden Zwang zur architektonischen Verkleidung bietet der Hafen viele Spuren von Umbruch und natürlichem Altern von Städten.

Dagegen benötigen die strukturellen Änderungen intensive Erläuterungen: Denn beispielsweise sind die Umsiedlungen aus der Speicherstadt ins eher schäbige Hafenhinterland aus Mietsteigerungsgründen oder der sichtbare Glaubensverlust der Containerbetriebe an die Hafenerweiterung Altenwerder, die inzwischen an anderen Stellen investieren, ohne informative Hinweise nicht sichtbar.

Das einzige Manko der dreistündigen Fahrt bestand darin, daß Rademacher kein Architekt ist und man deshalb über diesen Bereich nicht viel erfuhr. Dezente Kritik an der monotonen Aufgeregtheit der neuen Kehrwiederspitze von Kleffel, Könholdt, Gundermann („banale Architektur“) oder die überraschende Information, daß Hermann Muthesius im Hafen eine Kalianlage gebaut hat, blieben seltene Einsprengsel. Dabei hätte eine kompetente Analyse der Umsetzung der sogenannten „Perlenkette“ am Hafenrand an einem Tag der Architektur einmal Not getan.

Aber man kann nicht alles haben, und deswegen gilt auch für diese Tour – wie für alle anderen – der Wunsch, man möge sie regelmäßiger durchführen. Denn der ungeheure Andrang – auch bei den sieben Einzelhausbesichtigungen dieser Veranstaltung – zeigt doch, daß Hamburgs Bewohner ein virulentes Interesse daran zeigen, den städtebaulichen und architektonischen Wandel der Stadt erläutert zu bekommen. Till Briegleb