Das Gift aus dem Tunnel

Extrem hohe Giftbelastung an der Elbtunnel-Einfahrt / Messungen werden unter Verschluß gehalten / Bakterien könnten helfen  ■ Von Vera Stadie

Für „sehr riskant“ hält der Hamburger Biologe Prof. Eberhard Bock den Stoff, der aus dem Elbtunnel in die Umgebung dringt: Stickstoffmonoxid, kurz NO. Im Tageslicht verwandelt sich dieses Autoabgas zu Stickstoffdioxid (NO2). Beide Stoffe können die Atemwege schädigen.

In Autotunneln, wo das Sonnenlicht fehlt, entsteht mehr NO als sonst im Straßenverkehr, auch im Hamburger Elbtunnel. Das farblose Gas ist ein sogenanntes Zellgift. Es kann Bakterien und Viren abtöten. Das menschliche Immunsystem setzt es daher als „Killerstoff“ gegen Krankheitserreger ein. Was es im Körper so alles anrichtet, ist noch nicht restlos erforscht. Trotzdem fürchte er sich vor NO mehr als vor NO2, so der Wissenschaftler, der an einem biologischen Verfahren zur Reinigung der Elbtunnel-Abluft arbeitet. „An den Tunnelportalen sind die NO-Werte hoch“.

Das bestätigen auch die Schadstoffmessungen der Umweltbehörde. Am Othmarschener Kirchenweg, wo sich die Internationale Schule und das Altonaer Krankenhaus befinden, ist die Stickoxidbelastung mit 109 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresdurchschnitt fast doppelt so hoch wie zehn Meter weiter von der Tunneleinfahrt entfernt. Die Werte sind von 1989. Zwar ist im Auftrag der Baubehörde auch in jüngerer Zeit am Elbtunnel gemessen worden, die Ergebnisse will die Behörde aber nicht rausrücken. So bleibt nur zu vermuten, daß die Mengen des giftigen Gases in den vergangenen sieben Jahren eher zu- als abgenommen haben, da die Zahl der Autos, die durch den Tunnel drängen, und damit die Zahl der Staus gestiegen ist.

Aus dem Elbtunnel würden täglich je nach Verkehrsaufkommen 200 000 bis 400 000 Kubikmeter mit Abgasen verunreinigte Luft strömen, rechnet Bock vor. Da die NO-Konzentration im Tunnel durchschnittlich bei etwa drei Milligramm pro Kubikmeter liege, komme an einem Tag also ein Kilogramm NO zusammen. Diese Giftmenge wird bislang in die Wohngebiete geblasen, denn die üblichen Filter, wie sie zur Reinigung der Abgase von Müllverbrennungsanlagen und Kraftwerken benutzt werden, sind hier untauglich, so Bock: „NO rutscht überall durch“.

Der Mikrobiologe hofft, mit Bakterien das „Problemgas“ aus der Elbtunnelabluft filtern zu können. Im Auftrag der Hamburger Baubehörde machte er sich 1991 auf die Suche nach NO-fressenden Bakterien und wurde fündig. Die winzigen Nützlinge werden in einer Nährlösung gehalten, die keinen Stickstoff enthält. Den holen sie sich aus der Elbtunnelluft. „Sie sind begierig auf NO und bauen es vollständig ab“, so der Forscher.

Seit eineinhalb Jahren läuft am Elbtunnel eine Pilotanlage, in der Bocks gierige Keime ein bis fünf Kubikmeter Elbtunnelluft pro Tag reinigen. Der nächste Schritt wäre jetzt der Bau einer größeren Versuchsanlage, die 3000 Kubikmeter Luft pro Stunde filtert. Und die wird „sehr teuer“, so Bock. Die Gelder dafür sind beim Bundesforschungsministerium beantragt.

Dort wird man hoffentlich einsehen, daß es sich hier um ein überaus nützliches Projekt handelt. Der Hamburger Bakterienfilter stößt auch im Ausland auf Interesse, denn allein in Westeuropa gibt es über 150 extrem lange Straßentunnel, deren Abluft bisher nicht gereinigt werden kann. Auch die AnwohnerInnen in Bahrenfeld dürften interessiert sein, vor allem weil ihnen künftig auch noch die Abgase der vierten Elbtunnelröhre um die Nase wehen sollen.