Zur Person
: Unsagbares Gefühl fürs Leben

■ Hans Otte: Honorarprofessor an der Hochschule für Künste

„Ein schwarzer Tag in der Rundfunkgeschichte für Neue Musik: Hans Otte geht!“ Auch wenn sich nicht jede und jeder in dieser emphatischen Weise wie der Delmenhorster Komponist Hans Joachim Hespos äußern würde – Hespos trifft den Nagel auf den Kopf. Die Geschichte der Neuen Musik im Rundfunk ist auf außerordentliche Weise mit den Ideen Hans Ottes verbunden, der in diesem Jahr siebzig Jahre alt wird. Heute wird dem weltberühmten bremischen Komponisten von der Hochschule für Künste der Titel eines Honorarprofessors verliehen.

Der reichlich verspätete Zeitpunkt dieser Ehrung – vor einigen Jahren entschied man sich für die Vergabe des Titels an den damaligen Hauptabteilungsleiter für Musik, Klaus Bernbacher, – mindert nicht ihre Bedeutung. Hans Otte wurde 1926 geboren, ist also gleichaltrig mit den Großen dieses Jahrhunderts: Pierre Boulez, György Ligeti, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono. Nach dem Krieg begann er als Meisterschüler von Walter Gieseking eine Karriere als Pianist, die er jedoch zugunsten kompositorischer Interessen nicht weiter verfolgte. 1959 nahm er den Posten als Leiter der Musikabteilung von Radio Bremen an.

Ab diesem Zeitpunkt konzipierte und organisierte er jährlich zwei Festivals, eins für alte und eins für neue Musik. Um 1959 regte sich allenthalben in der kompositorischen Szene Widerspruch gegen das dogmatisch gewordene serielle Denken. Der fällige Einspruch kam maßgeblich von Radio Bremen: Hier traten zum ersten Mal John Cage und La Monte Young auf, hier wurden Performance- und Happeningformen konsequent weiterentwickelt.

Diese ästhetischen Positionen prägten Ottes eigenes kompositorisches Oeuvre. Auch als Folge seiner Beschäftigung mit dem Taoismus und dem Zen-Buddhismus ist er auf der Suche nach dem Innern der Klänge, sucht deren Charakter und Eigenleben fernab musikhistorischer Semantik. Das jüngst auf der diesjährigen Pro Musica Nova uraufgeführte „Stundenbuch“ für Klavier ist das extremste Beispiel unverbundener Töne, die in geschichtsloser Schönheit geradezu zelebriert werden.

Ein Drittel seines Gesamtwerkes, das in aller Welt aufgeführt wird, machen Arbeiten für das Musiktheater aus, die sich in experimenteller Weise mit spezifischen Räumen auseinandersetzen. Eine seiner Klanginstallationen ist heute im Neuen Museum Weserburg zu hören. Auch hier hat Otte maßgebliche Impulse gegeben. Ob eine Stimme wie die von Hans Otte mit ihrer ganz eigenen Kraft zwischen Archaik und Artifiziellem auf die Dauer ein wirksamer Gegenpol zu den sich immer mehr breitmachenden Bekenntnissen zur Neoromantik bedeuten kann, muß die Zukunft, müssen auch die Auseinandersetzungen mit StudentInnen zeigen.

Auf die Frage „Warum komponieren Sie?“ antwortete Otte einst mit der für ihn charakteristischen Poesie: „So wenig wie das Leben einen Zweck hat, sondern Grund in sich selbst ist: Ich bin am Leben – so wenig hat Musik auch irgendeinen anderen Sinn, sondern ist Antwort durch sich selbst: Ich kann hören. Wie auch alle anderen Künste ganz offensichtlich keine zusätzliche Bedeutung haben, sondern vielmehr Tor der Wahrnehmung für die mannigfache Erfahrung von Welt sind. Deswegen ist künstlerische Arbeit – so auch das Komponieren – für mich die täglich neue Beschreibung dieses unsagbaren Gefühls für das Leben, in dem wir nun mal sind“.

Ute Schalz-Laurenze