Suche nach der Nische

■ Mit heißem Bemühen oder lauwarmer Routine verfaßt: Wie sehen Bremer Magisterarbeiten aus?

„Hexen heute. Eine Lebensgeschichte“. Oder: „Die protestantische Ethik und der nüchterne Mensch – Zur Veränderung von Alkohol-Trinkmustern am Beispiel der Bremer Geschichte“. Oder: „Bestattungen in Bremen.“

Drei Beispiele aus der Themenliste der soeben vergebenen oder jüngst abgeschlossenen Examensarbeiten an der Uni Bremen, Fachbereich Kulturwissenschaften. Was treibt sie um, unsere Studierenden der Kulturwissenschaften, welchen Themen gilt ihr heißes Bemühen? Kommen sie mit neuen unverbrauchten Ideen und Konzepten zu den Professoren oder basteln sie aus 30 Bänden Sekundärliteratur einen 31., für den sie dann den Titel Magister und Magistra Artium bekommen?

Ein bißchen mehr „Mut, einen Essay zu riskieren“ wünscht sich Professor Jörg Richard, Fachbereichsbeauftragter für die Kulturwissenschaft, schon von seinen Studenten, denn „den haben die meisten nicht“.

Wo bleibt der Mut zum Essay?

Richard hat verschiedene Spezies in ihrer Mitte – 1.300 KulturwissenschaftlerInnen sind es mittlerweile – ausgemacht: Da gibt es den „Sachbearbeiter-Typus“, der sich einen geregelten Studienablauf wünscht und die Unwägbarkeiten einer geisteswissenschaftlichen Karriere als unerwünschte Nebenwirkungen – fragen Sie ihren Studien- oder Geldberater – betrachtet.

Es gibt die Studierenden, die es „heimlich zur Kunsthochschule zieht“ und sich zuerst mal für KuWi eingeschrieben haben – mangels attraktiveren Angebots. Manche haben es mit dem Examen überhaupt nicht eilig und stellen gewissermaßen den Akademie-Gedanken in den Vordergrund des Studiums. Devise: Man lernt nie aus, aber dafür braucht es keinen Abschluß.

Michael Müller, Kunstprofessor, begrüßt all jene Erstsemster, die „mit einem bestimmten Interesse“ an die Uni kommen, das sie dann „auf Teufel komm raus“ durchziehen. Solange das nicht zu einem eindimensionalen Studium führt.

Abschlußquote drei Prozent

„Etwas Besseres können wir uns nicht wünschen.“ Das Gros der von ihm betreuten Abschlußarbeiten sei freilich aus Seminaren hervorgegangen, und „das soll ja auch so sein“. Schließlich sollen die Studierenden dort ihr „größtes Problem“ überwinden lernen, das da heißt, selber eine wissemschaftliche Fragestellung zu formulieren und die sekundärliterarische Spreu vom Weizen zu trennen. „Da wird viel Blödsinn publiziert“, sagt Müller. Motiviert sind seine StudentInnen aber durch den starken Gegenwartsbezug des Faches. Die Examensarbeiten sind auf der Höhe der Zeit: Über die „Selbstwahrnehmung im Cyberspace“ oder die „Entwicklung des digitalen Hörfunks“ wird geforscht.

Düster ist die Abschlußquote im Studiengang Philosophie, in Bremen als Teilbereich der Kulturwissenschaften eingestuft. Sie liegt bei bescheidenen drei Prozent. Ein Grund für die Abschluß-Müdigkeit der studierten PhilosophInnen dürfte ihre gemeinhin als arbeitsmarktuntauglich verrufene Qualifikation sein; das Berufsfeld ist mehr als eng.

Mit eigenen Ideen komme nur „eine Minderheit“ der Studierenden zu ihm, sagt Professor Manfred Stöckler, zuständiger Fachbereichsbeauftragter. Dementsprechend gering ist das Aufkommen an philosophischen Magisterarbeiten. Gerade mal vier sind das in den letzten Semestern gewesen. Eine davon heißt „Computerethik“ und fragt nach den moralphilosophischen Problemen, die sich durch die Einführung von Computern ergeben; eine andere untersucht „Bewertungskriterien wissenschaftlicher Theorien“.

Besser hingegen die Abschlußquote in Jörg Richards Branche. Auf 60 Prozent schätzt er die KuWi-StudentInnen, die willens sind, sich durch einen akademischen Abschluß zu beweisen, daß es ein Leben nach der Uni geben muß. Und wie berät Richard die Examenskandidaten? Je weniger qualifiziert einer sei, desto konventioneller in der Form müßte die Arbeit ausfallen, sagt Richard. 1., 1.1., 1.1.1. – Punkte und Unterpunkte als Kletter- und Stützgerüst für alle fachlich Kurzatmigen? Dabei läßt die Kulturwissenschaft vieles zu, und Jörg Richard entmutigt seine Schützlinge nur selten. Er sieht sich als einer, der berät, nicht der verbietet. Und für ihn kann eine Magisterarbeit auch essayistischen Anstrich haben und so aussehen „wie eine Theaterkritik von Benjamin Henrichs in der „Zeit““. „Hermeneutisch“ sei dessen Ansatz zu nennen und tue damit auch wissenschaftlichen Standards Genüge.

Ein bißchen abseitiger kommen die Magisterarbeiten daher, die Professor Dieter Richter, seines Zeichens Literaturgeschichtler bei den Kulturwissenschaften, betreut. Schwerpunkt Reise. Gerade begonnen wurde eine Arbeit namens „Liebe auf Reisen“, an eine Arbeit über „subpolaren Tourismus“ erinnert er sich noch gern.

Examensthemen wie fürs „Merian“-Heft

Was klingt wie für die Vorschau fürs „Merian“-Heft, spiegelt die thematische Bandbreite des Faches. In den Kulturwissenschaften glauben auch orientierungslose Geister, noch eine Nische zu finden. „Und oft stimmt das ja auch“, sagt Michael Müller.

Einzusehen sind die fertigen Bremer Magisterarbeiten leider nicht. Magisterarbeiten sind keine Dissertationen und werden deshalb nicht veröffentlicht, so die Begründung des Magisterprüfungsausschusses. „Es könnte ja sein, daß ein Gutachter zu einer Passage „Quatsch“ notiert hätte“, vermutet Volkskundler Rainer Alsheimer, dem dieser feine Unterschied selber das Leben kompliziert hat, als er die Liste der Examensarbeiten '95 erstellt wollte.

Magisterarbeiten unter Verschluß

Michael Müller glaubt eher, daß man sich in der Bibliotheksverwaltung nicht die Mühe machen will, auch Magisterarbeiten ausleihbar zu machen, weil es eben „nur Ma-gisterarbeiten“ sind. Darüber, daß Studierende die Arbeiten ihrer Kommilitonen einsehen können sollten, habe man erst kürzlich im Fachbereich diskutiert.

Dissertationen hingegen sind nicht als vertraulich eingestuft. Wer hat Lust, eine Promotion zum Thema „Präsentation von Schlafraumkultur in periodischen Printmedien“ zu lesen? Geforscht wird auch in den Niederungen der Popularkultur. „Rocker im Spannungsfeld zwischen Clubinteressen und Gesellschaftsnormen“. Doch es geht auch klassisch-hochgestochen: „Psychische Mechanismen der Realitätswahrnehmung und -bewältigung bei sozial und ökonomisch benachteiligten Berufsschülerinnen im Lichte psychoanalytischer Theorien.“ Der Name der Autorin kann bei Interesse in der Redaktion erfragt werden.

Alexander Musik