Im Dickicht deutscher Gesetze

■ Bulgarisches Ehepaar im Kirchenasyl wegen illegalen Aufenthalts verurteilt

Der Vorgang grenzt ans Absurde: Ein Ehepaar aus Bulgarien, das seit einem Jahr in einer Zehlendorfer evangelischen Gemeinde im Kirchenasyl lebt, ist am Freitag zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Anguel und Nevena Veleff hätten sich eines Verstoßes gegen das Ausländerrecht schuldig gemacht, befand das Amtsgericht Tiergarten. Seit der Ablehnung ihres Asylantrages im August 1994 hielten sie sich illegal in der Bundesrepublik auf.

Er wolle lieber erschossen werden als im Gefängnis sitzen, hatte der 41jährige Veleff kurz vor der Urteilsverkündung mit leiser Stimme gesagt. Angesichts seiner Geschichte ist diese Reaktion verständlich: Als Angehöriger einer türkischstämmigen Minderheit war er in seinem Heimatland nach der Teilnahme an einer Demonstration gegen die staatliche „Bulgarisierung“ verhaftet worden. Sechs Jahre verbrachte er als politischer Gefangener im Gefängnis von Stara Zagoro, wo er wiederholt Folterungen ausgesetzt war.

Das Berliner Zentrum für Folteropfer, in dem er seit einigen Monaten therapeutisch behandelt wird, attestierte ihm ein psychisches Trauma. Verteidigerin Susanne Wilutzki machte in ihrem Plädoyer vergeblich die „angeschlagene psychische Situation“ der Veleffs geltend. Das Gericht sah darin keine Rechtfertigung oder gar Entschuldigung. Veleff habe gemeinsam mit seiner Frau „hartnäckig und zum Teil mit unlauteren Mitteln“ versucht, die drohende Abschiebung zu verhindern, betonte die Richterin in ausgesprochen barschem Ton. Sie habe zudem den Eindruck, das Ehepaar habe bis zuletzt nicht verstanden, daß es bei der zweitägigen Verhandlung vor dem Amtsgericht nicht um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern um die Ahndung eines Gesetzverstoßes gehe.

Erstaunlich wäre es nicht, wenn das Dickicht der deutschen Gesetze für das bulgarische Ehepaar undurchdringlich bliebe. Schließlich handelt es sich bei ihrem Verfahren nach Auskunft der Initiative „Asyl in der Kirche“ um einen Präzedenzfall. Zum ersten Mal sei ein Flüchtling angeklagt worden, weil er im Kirchenasyl lebt, und nicht ein Vertreter der Gemeinde, die das Kirchenasyl gewährt.

Die Folgen des Urteils sind noch nicht abzusehen. Verteidigerin Wilutzki kündigte bereits an, daß sie in die Berufung gehen wird. Falls in einer erneuten Verhandlung wiederum Freiheitsstrafen mit Bewährung verhängt werden, müßte gegen die Veleffs, die sich ja weiterhin illegal in Berlin aufhalten und damit gegen geltendes Recht verstoßen, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, erklärte sie. Gesine Wolfinger (epd)