„The End“ im Schlüter-Kino

■ Gestern lief die letzte Vorstellung im „Schlüter-Kino“

Es ist wie ein Begräbnis. Frauen und Männer, Junge und Alte nähern sich langsamen Schrittes den Aushängen vor dem „Schlüter- Kino“ in Charlottenburg.

Sie alle sind gekommen, um einen letzten Blick auf die Schaukästen zu werfen, in denen schwarz auf weiß steht, was sie nicht glauben wollen: „Vergiß, was gewesen, denk nicht mehr an einst, es kommt ja nicht wieder, so sehr Du auch weinst!“ hat Bruno Dunst, Berlins bekanntester Kinochef, in einem Abschiedsbrief „an alle treuen und lieben Besucher“ gedichtet.

Weil der neue Hausbesitzer die Miete von 2.800 Mark auf 10.000 Mark erhöht hat, mußten Bruno und Irmchen Dunst kapitulieren. Gestern abend war die letzte Vorstellung in dem Kino, wo 34 Jahre lang täglich „Repertoire-Filme der Spitzenklasse“ gezeigt wurden.

Zwei Stunden vor Beginn der ersten Vorstellung defilieren gestern nachmittag Freunde, Nachbarn und ehemalige Kinobesucher an den Schaukästen wie an einem Sarg vorbei. Gekommen sind selbst Menschen, die eingestandenermaßen das „Schlüter“ nie von innen gesehen haben. Kopfschüttelnd lesen sie die handgeschriebenen Worte, die neben dem Programm stehen. „Letzte Vorstellung für immer. Leider. Adieu.“

„Das ist Kapitalismus“, sagt ein alter Mann traurig. „Der neue Besitzer ist ein Gangster“, schimpft er. Ein junger Mann beschreibt seiner blinden Freundin das Äußere des alten Kinos. Die beiden sind extra aus Lichtenberg gekommen. Gerade weil sie noch nie im „Schlüter“ waren, wollen sie einen letzten Blick auf das Kino werfen, bevor sich „Aldi oder irgendeine Ladenkette“ breit macht. So munkelt man jedenfalls im Kiez.

Bruno Dunst kommt wegen dem ganzen Medienrummel gar nicht dazu, die Vorstellung von der letzten Vorstellung zu verinnerlichen. Außerdem muß der 77jährige Schauspieler, der in 80 Filmen gespielt hat, derzeit „die schwierigste Rolle meines Lebens“ spielen: „Wie bringe ich das meinem 17jährigen Pudel Peter bei, der im Kino aufgewachsen ist?“

„Einzige seelische Rettung“ sei die Aussicht, daß das Inventar vielleicht irgendwann einmal als Zeugnis des Nachkriegskinos zu bestaunen sein wird, sagt Dunst. Seit heute morgen haben Filmfreunde der Deutschen Kinemathek damit begonnen, das gesamte Inventar abzubauen.

Ein junges Mädchen drückt Bruno Dunst die Hand. „Aber nicht wieder weinen“, versucht er sie zu trösten. Doch als er hinaufschaut zu dem großen Transparent mit der Aufschrift „Adieu Schlüter-Kino. Wir werden Dich vermissen“, das Freunde aufgehängt haben, kommen ihm selbst fast die Tränen.

Am meisten getroffen hat ihn das verlogene Verhalten des neuen Besitzers. „Bei seiner Vorstellung hat er gesagt, das „Schlüter“ sei in seiner Jugendzeit sein Lieblingskino gewesen.“ Beim nächsten Zusammentreffen habe er ihm dagegen gesagt: „Sie sind zu alt, wie auch Ihr Konzept“.

Der neue Hausbesitzer hat Bruno und Irmchen Dunst zwar in die Knie gezwungen, doch sie bleiben sich und dem Kino bis zum bitteren Ende treu. Der Abschiedsbrief im Programmkasten endet wie jeder Film-Abspann: „The End“. Barbara Bollwahn