■ Aus der Reihe: Berufe, die noch keiner kennt
: Der Getränkejäger

Die Jagdsaison hat wieder begonnen! „Wenn ich nachts auf meinem sternenbeleuchteten Hochsitz zwischen Eichbäumen und Ureichen stehe und mit dem Feldstecher ein Rudel kapitaler Rotweine beobachte, wie sie friedlich gärend auf der mondbeschienenen Punika-Lichtung stehen, dann wird mir ganz warm um die Leber.“ Der, der das sagt, ist der letzte Getränkejäger Deutschlands. Seit 36 Jahren betreut er sein kleines Revier in Clausthal, wo sich Cola und Fanta gute Nacht sagen. Hier kennt er sich aus: „Ich weiß, wo das seltene Malzbier sich versteckt hält“, erzählt er, „und wo die geheimen Pfade der scheuen Mineralwasser verlaufen.“

Trophäen füllen sein gemütliches Kaminzimmer. An der Wand hängt die beeindruckende Kronkorkensammlung eines ausgewachsenen Sixpacks. Der Clausthaler Getränkewaidmann ist ein Meister auf seinem Gebiet: Mit verbundenen Augen kann er fachgerecht eine frisch erlegte Zitronenlimo auswaiden.

Aber sein Expertenwissen ist nicht mehr gefragt. Fast alle Getränkeforste sind mittlerweile privatisiert; reiche Stadtschenken haben alles aufgekauft. „Denen geht's doch nur um die Promille“, schimpft der Clausthaler Getränkeheger. „Die vergreifen sich schamlos an unseren lieblichen Weißweinen und ziehen ihnen ungekühlt die Etiketten ab, nur um ihren Reibach zu machen!“ Selbst vor den seltenen Iso-Drinks mache die Gier der Städter nicht halt, erzählt er, dabei stünden diese ganz oben auf der roten Ausschankliste.

Harte Zeiten sind für den heute 86jährigen jedoch nichts Neues. Als vor zwei Jahren die gefürchtete Korken- und Deckelseuche in seinem Revier ausbrach, verlor er gut die Hälfte seines Wildbestandes an den Altglascontainer. Manch einer hätte damals den Strohhalm geworfen; nicht so der wackere Clausthaler Getränkejäger: „Meine Flaschen brauchen mich!“, weiß er.

Für die Hatz auf die gemeine Spätlese oder die winterliche Glühweintreibjagd ist er allerdings inzwischen zu alt. Seine zittrigen Hände sind nicht mehr sicher genug für einen sauberen Anstich: „Und nichts ist gefährlicher als ein waidwund geschossener Multivitaminsaft“, versichert der Getränkeheger. Nur selten streift er jetzt noch mit der Champagner-Lockpfeife und mit Rosé, seiner abgerichteten Rotweinhündin, durch die Schorle-Schonungen, wo der Schluckspecht klopft und die Schnapsdrossel ihr wehmütiges Lied singt. Bald wird auch er seinen Getränkeforst verkaufen müssen. Ja, wenn er Kinder hätte, ja, dann – aber ganz alleine kann der Witwer seine obergärige Waidmannsarbeit eben doch nicht mehr versehen.

Die unkontrollierte Inzucht im flaschengrünen Forst stellt ein weiteres Problem dar: „Da paaren sich sprudelnde Exportbiere mit abgestandenem Altbier“, berichtet der betagte Forstmann, „die Jungbiere aus solchen Verbindungen sind leider oftmals gänzlich alkoholfrei, haben verstümmelte Zapfhähne und mißgebildete Schraubverschlüsse. Das darf nicht sein!“

Wenn die Glühwein-Schonzeit vorüber ist, wird er endlich in den wohlverdienten Trinker-Ruhestand treten; der einzige Clausthaler Getränkejäger – der letzte Getränkejäger Deutschlands! Prost! Frank M. Ziegler