Ohne Revanchismus

■ „Kalte Heimat“, 23.00 Uhr, WDR

Der alte Mann freut sich nicht sonderlich über das Fernsehteam in seinem Vorgarten: „Was wollen Sie?“ – „Erkennen Sie uns nicht wieder“, fragt jemand mit einer Lederjacke, den wir nur von hinten sehen. „Was?“ sagt der Alte und die Ohrenwärmer seiner Pelzmütze legen sich wie Fragezeichen in den kalten Wind. Eine alte Frau kommt hinzu. „Guten Tag, Bluma Timowejewna“, sagt die schwarze Lederjacke. „Woher kennen Sie mich“, fragt Bluma Timowejewna.

Der Dokumentarfilm von Volker Koepp über das ehemalige Ostpreußen beginnt wie ein Fellini-Film. Eine Selbstparodie, in der das Fernsehen einen Auftritt hat, der es wie eine trampelige Gestalt der dritten Art aussehen läßt, die außerhalb ihrer normalen Reichweite nur wenig Eindruck macht. Doch Bluma ist eine gute Seele und läßt die Besucher herein. Sie erzählt, wie sie ihren Mann kennenlernte und wie er unterschreiben mußte, daß er Stalin umbringen wollte. Dabei könne er „noch nicht einmal ein Huhn zerschneiden“. Ein Tango aus ihrer Zeit als Schulrektorin kommt ihr in den Sinn, und während sie singt und mit dem Kopf wackelt, fummelt ihr Mann verlegen an seiner Mütze.

Das Team zieht weiter. Die Reportage läßt sich Zeit. Die Jahreszeiten wechseln, und je mehr Menschen Koepp begegnet, desto sparsamer wird der Kommentar. So entwickelt sich der Film ganz wie von selbst und ohne jeden Revanchismus zu einem wichtigen Dokument über eine Völkerwanderung, Vertriebene und Vergangenheitsurlauber. Arbeiterinnen und Bäuerinnen bereiten Königsberger Klopse zu, ohne daß das Fernsehen sie nachträglich als folkloristische Attraktion weichkocht. Und wenn die Lederjacke fragt, warum das Königsberger Gebiet eigentlich „Kalte Heimat“ genannt wird, lautet die Antwort furztrocken: „Naja, warm ist es ja hier nicht gerade.“ Birgit Glombitza