: Riesenarroganter Mist
Das deutsche Kanzlerpuppenmassaker: Der Regisseur Christoph Schlingensief zu den Vorwürfen der Berliner CDU, er verherrliche „Brutalität, Haß und Gewalt“
Jetzt mußt du dich entscheiden. „Alle, die wollen, daß Helmut Kohl getötet werden soll, gehen jetzt links heraus“, sagt der Mann mit dem Megaphon. Die andern bitte rechts lang. Das Volksbühnen-Volk stimmt mit den Füßen ab, leichte Mehrheit für Kanzlermord. Rechts lang wird man unbehelligt in die Berliner Nacht entlassen, wer sich für links und Aktion entscheidet, kriegt einen Zeitungshelm auf den Kopf und ein Deutschlandfähnchen in die Hand. Dann „gemeinsames Schwarzfahren“ zum Prater Prenzlauer Berg. Dort geschieht unter freiem Himmel das deutsche Kanzlerpuppenmassaker: „Seit langem das Widerlichste, was eine Bühne gezeigt hat“, wie Volker Liepelt, Geschäftsführer der Berliner CDU-Fraktion, dem Regisseur, Autor und Megaphonisten Christoph Schlingensief bescheinigt. Das war knapp. Denn die Feuilletons hatten schon beschlossen, sich von Schlingensief nie mehr provozieren zu lassen, nicht von seiner 68er- Ikonen-Hinrichtung „Rocky Dutschke“, und auch nicht vom Prater-Spektakel „Fehler des Wahnsinns“, das sich als konzertierte Aktion von „Grand Guignol, Surrealismus und Theater der Grausamkeit“ annoncierte. Daß dabei unter anderem „eine Rinderzunge auf der Hose eines Theaterkritikers“ landete, fand die „Süddeutsche Zeitung“ noch „ärgerlich“, schlimmer aber die Vorstellung, der Mord am Puppenkohl könne justitiabel sein und aus Schlingensiefs „Pennälerstreichen“ am Ende noch politisch verfolgte Kunst machen. Und während sich die Berliner CDU schon überlegt, ob „jeder Mist und jede Geschmacklosigkeit der mit 28 Millionen Mark öffentlich subventionierten Volksbühne“ zu dulden sei und der Volksbühnen-Verantwortliche Castorf zum klärenden Gespräch zum Kultursenator einbestellt wird, weilt Schlingensief auf Einladung des Goethe(!)-Instituts in Tokio. Ein Ferngespräch.
taz: Was genau ist eigentlich passiert beim Puppenmord im Prater?
Schlingensief: Wir haben das gemacht, was Millionen Arbeitslose gerne machen würden: Volkstheater, letzten Endes. Hier in Japan treffen sich Leute, um eine Puppe, die aussieht wie ihr Chef, anzuspucken, anzupöbeln, anzuschreien, um den Frust loszuwerden. Aber das ist ein Opferritual, ein Opfer für Kräfteverluste, Aufstauung von Haß. Sieht aus wie auf der Kirmes. Allerdings alles in Anwesenheit des Chefs. Das wäre dann der Fehler. Aber die Kritiker waren ja da, das sind ja Zuarbeiter von Helmut Kohl größtenteils.
Eigentlich also eine therapeutische Veranstaltung...
Am Ende ist es das. Es ist das Ende von Rocky Dutschke, 68. Das war ein Stück, in dem man den Prozeß des Punkt Punkt Punkt vorgeführt bekommt. Das heißt, man sitzt nicht mehr im Theater und läßt die Schauspieler in ihrer Rolle herumturnen, und ein Regisseur hat sich meisterhaft was ausgedacht und interpretiert die Welt wieder ganz doll usw. Die Vorstellung vieler Theaterkritiker ist ja gerade, wir brauchen Theater als erbauliche Einrichtung, Nationaltheater, Nationaloper. Ich habe probiert, ein Theater zu machen, bei dem der Zuschauer, wenn er Lust hat, mitmachen kann. Das ist kein Prozeß mehr, der in einer bestimmten Funktion steht, nur dazu da ist, aufzuklären, den Geschmack zu verbessern oder sonstwas. Aber das war kein Provokationstheater, nur um Leute vors Bein zu treten. Am Ende gab es ein schönes Schlußbild, in dem Otto Normalverbraucher, nämlich Kerstin, ihre Lebensbeichte ablegt, daß sie keine Kinder bekommen kann, daß sie in der Psychiatrie gelandet ist usw. Und dann kommen die Ideologiemonster als Ölbilder heruntergefahren, und sie hat einen roten Luftballon. Und die Konsequenz war also, genau in diesem Tenor – Abbild, Ölgemälde, künstlich, blabla – das Publikum zu fragen, habt ihr nicht Lust mitzumachen und aktiv zu werden, wir wollen eine Kulturrevolution, um dann in einer Art Bauerntheater zu enden. Raus aus dem Theater, weg von diesem Tempel der einseitigen Informationspolitik, rein in die U-Bahn, Üben des Textes, Papphütchen auf, Fähnchen in der Hand, dann in den Prater, und da wurde dort das Schlußtribunal angeblasen nach dem Breton-Motto: Die einzig surrealistische Tat ist, in die Menge zu schießen. Der ironische Kipp-Punkt war dann, daß nicht in die Menge geschossen wurde, sondern auf den Vorsitzenden der Masse Deutschland, die träge und lethargisch geworden ist, Helmut Kohl als schlecht gemachte Puppe, der in meinen Augen viel gewalttätiger ist als so eine tumbe Tat, die wir da vollbracht haben, die sicher auch was von Schülerscherz hat.
Das Feuilleton versucht Sie ja gerade als wildgewordenen Tabubrecher ins Leere laufen zu lassen. Haben Sie auf die CDU gehofft, weil sich sonst keiner mehr aufregt?
Nein, überhaupt nicht. Seit ich Langfilme mache, seit 1984, erlebe ich, daß man dafür bestraft wird, wenn man im Kinderzimmer Unordnung macht, sich da dämlich aufführt, albern ist, brutal ist. Im Kinderzimmer, das Deutschland ja auf keinen Fall sein will, weil es unbedingt ernstgenommen werden will. Und in diesem ganzen Kulturscheißhaushalt sollen sie mir doch mal einen nennen, der so lange schon Leute da reinlocken kann, die sich das mit Lust angeguckt haben, und wo es sich lohnte, darüber zu schreiben. Es gibt soviel in Deutschland, was subventioniert wird, worüber kein Wort verloren wird. Dann sollen sie doch konsequent sein und ihr Maul ganz halten und mich ignorieren, dann geht's mir doch wahrscheinlich in ihren Augen erst recht schlecht. Ich habe sieben Filme gemacht für 670.000 Mark, das ist extrem wenig. Aber wenn dann bei soviel Schwachsinn überall ab und zu dann doch mal eine Initialzündung stattgefunden hat, da immer dann das feuchte Tuch reinzuhalten und zu sagen, ja löschen wir mal lieber gleich – das ist der Punkt, warum in Deutschland tatsächlich nichts nach oben gelassen wird, was irgendwie versucht, sich mit Fehlern oder sogar durch Fehler zu äußern.
Ich habe bei meinen Sachen immer darauf bestanden, daß das fehlerhafte Ergebnisse sind, daß der Prozeß des Machens wahrscheinlich das Bessere war bei mir. Das heißt auch, sich haftbar zu machen mit dem, was man tut. In diesem Kulturbetrieb erklärt sich doch kaum noch einer für haftbar. Da ist doch nur noch jeder unterwegs und sagt, ich hab' hier eine Wahnsinnstat vollbracht, guckt euch mal mein Kunstwerk an, ist das nicht toll, und dann kann wieder der Kritiker hingehen und sagen, mmh, wunderbarer Geschmack, was hab' ich auf meiner Zunge empfunden, oder er sagt: nicht so sauer wie letztes Mal. Das ist eine Stimmung, die finde ich extrem nervtötend. Seit 87, 88 bahnt sich das an, daß keine Luft mehr ins Getriebe rein darf. Luft kann manchmal auch sehr erfrischend sein.
In „Rocky Dutschke“ gibt es gerechten Zorn auf 68er-Selbstgerechtigkeit. Da erzählt eine Frau von dem Bewältigungsritual, wenn einmal im Jahr ein KZ besucht wird, die Kinder einen Kranz niederlegen und der Mann „die Namen der sechs Millionen ermordeten Juden vorliest... Das kann ganz schön lange dauern.“ Gut böse. Aber warum läuft dazu ein Film, der die wirklichen KZ- Opfer zeigt?
Das ist falsch, das ist das, was auch der Kritiker der Frankfurter Rundschau gesehen hat.
Aber ich habe es doch gesehen...
Aber das ist ein Irrtum. Das sind keine Juden, das sind Aufnahmen der Alliierten, wo sie Deutsche in ein Konzentrationslager hereinführen, damit die sich die Lampenschirme aus Menschenhaut angucken. Im Hintergrund sind zweimal Alliierte zu sehen. Daß man sich da mal versieht, kann passieren. Ich glaube nur, daß diese Blockade tatsächlich im Hirn stattfindet. Das Gehirn befiehlt, was die Augen
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sehen sollen. Das ist ja auch die Suche nach dem heiligen Bild, um die es in diesem Stück geht. Die unheiligen Bilder, sind die nicht schon in unserem Kopf geparkt, oder sind heilige Bilder, die, die wir schon mal gesehen haben, Gott hat kein Gesicht, wo ist der Kopf der Welt, warum gibt es Autoaggression, sind das die Kriege? Das sind die Themen. Das lege ich nicht in Doktorarbeiten an der Kasse aus, ich teile mich lieber durch Bilder mit. Das ist eine Lügenpolitik, zu sagen, Schlingensief zeigt Juden im KZ, dazu liest er diese Texte vor – genau das Gegenteil: Das sind Deutsche, die sich das KZ mal bitte angucken sollten damals. Und genauso blockiert ist unser Hirn.
Haben Sie das Gefühl, daß das verstanden wird? Und überhaupt: Nimmt die Ironiefähigkeit der Leute eher ab oder zu?
In meinen Augen nimmt sie bei den jungen Leute zu; was sich zwischen 16 und 24 bewegt, steigert sich in der Aufnahmefähigkeit, was sicher schon ein Ergebnis der Computertechnologie ist: Die scannen und sammeln erst mal, ohne ständig zu werten; was sie dann davon verwerten können, ist ein anderes Problem, das müssen die dann lösen. Aber bei den 30- bis 45jährigen läßt die Ironiefähigkeit, soweit ich das mitkriege, kolossal nach.
„Rocky Dutschke“ zeigt jedenfalls, wie leicht man Leuten irgendeine „Bewegung“ befehlen kann. Da sagt einer irgendwas in ein Megaphon, und fast alle folgen...
Wir haben oft selbst gedacht, das gibt's doch nicht, die machen wirklich mit. Da ist man einerseits verschreckt und denkt, o Gott, die machen das mit. Auf der anderen Seite muß ich ehrlich sagen, und ich bin dann auch gerne mit 50 noch das schreckliche Kind: Ich finde das auch klasse. Ich wäre froh, wenn ich in einem klassischen Konzert mal aufstehen könnte, weil es mir nicht kraftvoll genug erscheint, und dem Paukisten das Ding abnehme, um mal ganz kurz selber die Pauke zu spielen.
Bei den Lehrfilmen über Gesichtsoperationen, von Beschneidungen und Katzen-Blutopfern soll mir doch wohl schlecht werden. Hat das mit Katharsis zu tun?
Ich glaube schon. Es gibt wunderschöne Filme von Sektionen, die saugen einem eine merkwürdige Kraft ab. Das ist auch die Faszination an der Autobahn, wenn da ein Unfall ist und wir sehen, daß andere Leute einen Unfall hatten und ihre Zeitschiene, die so schön hätte weitergehen können, um dann bei Kaffee und Kuchen zu enden, daß die plötzlich unterbrochen worden ist, daß das noch möglich ist. Deshalb giert es uns nach Katastrophen, weil sich da zeigt: Es gibt noch eine andere Kraft, die unsere Zeitschiene, in der alles schon geregelt scheint, verletzen kann.
Diese Filme von Kriegsverletzungen und von Schönheitsoperationen zeigen was von der Zerstörbarkeit von Organismus, die Frage, was sind wir wert? Der Katholizismus hat das falsch interpretiert. Man muß das nicht benutzen, um zu unterdrücken. Sondern man kann es benutzen, um zu sagen: Es gibt tatsächlich den Verfall, das Öffnen, das Zerstören der Form, es gibt die Korrektur der Form. Und wenn man das einmal akzeptiert, kann man wieder Kraft schöpfen, von mir aus auch kniend. Aber wir können nicht immer so tun, als wäre alles in diesem wunderschönen Kissenbereich gelöst, und wir sind nur sauer, weil neben uns im Pool in der Türkei jemand schwimmt, der die gleiche Reise für dreihundert Mark weniger hat. Das kann nicht das Leben sein. Da bin ich zu allem bereit, sogar, pathetisch zu werden: Ich glaube, daß es das nicht sein darf.
Frank Castorf hat Sie bis über die Jahrtausendgrenze zum Hausregisseur der Volksbühne bestellt – was will Castorf von Schlingensief?
Er will wahrscheinlich, daß ich das Haus übernehme und dann in Grund und Boden reiße. Er will wahrscheinlich das, was ich auch von ihm will. Ich freue mich immer, wenn er das Wort ergreift und mal loslegt und wenn dann kryptische Sätze rauskommen, die ich nicht verstehe, weil ich Wessi bin. Ich glaube, daß das mit den Ossis und den Wessis ein produktives Ding sein könnte, wenn man auch im akausalen Bereich assoziieren würde. Es könnte sehr produktiv sein, wenn es nicht so depressiv wäre, weil die D-Mark jetzt nicht mehr soviel wert ist und die Steuern steigen und die Arbeitslosigkeit. Im Osten gibt es so tolle Sachen. Ich kann den Parfumgeruch von Charlottenburg nicht mehr aushalten, das ist einfach nicht wahr, das ist ein riesenarroganter Mist, den wir uns geleistet haben. Ich bin nicht darauf aus, die Gesellschaft zu destabilisieren, sondern darauf, daß man wieder Punkte findet, an denen man Lust verspüren kann. Und dieses Lustabtöten wird jetzt deshalb so stark, weil es nur noch um Kohle geht, keine Experimente, 50er Jahre.
Ist „Rocky Dutschke“ das Gegen-Stück zu Heiner Müllers „Germania 3“?
Ich bin traurig, daß Heiner Müller das nicht gesehen hat, daß er nicht gekommen ist. Ich glaube, Germania 3 wäre sicher ein Stück, das ich gern gemacht hätte. Das nächste Mal, wenn Heiner Müller dann auf die Erde zurückkommt und wieder ein neues Stück dabeihat, dann würde ich das gerne als erster machen.
Das Gespräch führte Holger Noltze
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