Liebe geht durch die Niere

In Berlin und Hamburg sind erstmals Nieren unter Eheleuten transplantiert worden / Vorgriff auf das neue Transplantationsgesetz / Kritiker befürchten Wildwuchs am Rande der Legalität  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Das Wort von der „Liebesspende“ machte die Runde. In Hamburg und Berlin sind in diesem Monat erstmals zwei Nieren von Ehefrau zu Ehemann verpflanzt worden. Damit deutet sich eine Verschiebung bisheriger Grundsätze in der Transplantationsmedizin an. Nach dem derzeit gültigen Kodex der Transplantationszentren waren Organübertragungen nur nach Entnahme von Toten oder nahen Blutsverwandten möglich.

Die Ausweitung ist eine Reaktion auf das zukünftige Transplantationsgesetz, das Organübertragungen unter Eheleuten gestattet, aber auch auf die unverändert dramatische Knappheit an Spenderorganen. Die derzeit etwa 10.000 Patienten auf den OP-Listen in Deutschland müssen durchschnittlich mindestens vier Jahre auf eine Spenderniere warten. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Spendenbereitschaft in der Bundesrepublik trotz leichter Besserung nach wie vor gering.

Stefan Löning, Chefarzt der Urologie an der Berliner Charité, verteidigte die von ihm vorgenommene Nierentransplantation bei einem 54jährigen Ehepaar. In anderen europäischen Ländern sei die Lebensspende unter Nichtverwandten – vorwiegend unter Eheleuten – ein durchaus übliches Verfahren. Die Erfolgsrate sei sehr gut, das Abstoßungsrisiko geringer als lange Zeit vermutet. Rund 140 schwer Nierenkranke warteten allein an der Charité auf eine Transplantation. Wegen der geringen Spendenbereitschaft könnten an dem Berliner Krankenhaus jährlich aber nur 30 bis 40 Nieren verpflanzt werden, sagte Löning.

Bisher sind Nierentransplantationen zwischen Eheleuten in Deutschland nur vereinzelt im Rahmen eines Münchner Modellversuchs vorgenommen worden. Die Münchner Arbeitsgruppe von Prof. Land versucht dabei, ein Prüfungsverfahren zu entwickeln: Um jeden Mißbrauch auszuschließen, überzeugen sich die Mediziner in vielen Gesprächen und Befragungen von der Freiwilligkeit der Spende. Das Organ soll ausschließlich aus altruistischen Motiven gespendet werden, ohne finanzielle Interessen und ohne moralischen Druck auf den Ehepartner.

Im interfraktionellen Gesetzentwurf für das neue Transplantationsgesetz, das vermutlich im nächsten Frühjahr den Bundestag passieren wird, soll die Organentnahme bei Nichtverwandten ausdrücklich gestattet werden. Der Gesetzentwurf erlaubt eine Transplantation auf „Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher und sittlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen“. Nach diesem Text wäre eine Transplantation auch bei einem schwulen oder lesbischen Paar möglich, vielleicht sogar unter guten Freunden.

Heftige Kritik an der „voreiligen Ausweitung“ der Organspende auf Ehegatten kam jetzt vom Transplantationsbeauftragten der Berliner Ärztekammer, Helmut Becker. Mit den in Berlin und Hamburg vorgenommenen Transplantationen seien die bisherigen ethischen Selbstregelungen verlassen und damit „die Schleusen geöffnet“ worden. Bestimmte Häuser würden offenbar die rechtliche Grauzone ohne ein Transplantationsgesetz für Alleingänge nutzen. Becker befürchtet, daß bei einer Ausweitung der Lebendspenden auf einen größeren Personenkreis zwar anfangs hohe moralische Standards aufgestellt würden, aber allmählich Wildwuchs entstehe und die strengen Kriterien gesenkt würden.

Becker wies auch auf die medizinischen Risiken hin. Immerhin drei von 1.000 Spendern würden an den Folgen der Organentnahme sterben. Zudem reichten die bisherigen Studien noch nicht aus, um das Abstoßungsrisiko bei einer Lebendspende unter Nichtverwandten endgültig zu beurteilen.

In Deutschland gibt es gegenwärtig 40.000 nierenkranke Dialysepatienten, von denen jeder vierte auf eine Transplantation wartet. Seit der ersten Nierentransplantation 1954 in Berlin sind in Deutschland mehr als 30.000 Nieren übertragen worden, weltweit etwa eine halbe Million. 1990 erreichte die Zahl der Nierentransplantationen hierzulande mit 2.358 ihren bisherigen Höhepunkt. Wegen der geringen Spendenbereitschaft ging sie seitdem leicht zurück. Im vergangenen Jahr wurden in der Bundesrepublik 2.128 Nieren verpflanzt. Für viele Transplantierte bedeutet das ein neues Leben mit ungewohnter Qualität. 15 Jahre nach der Transplantation leben in Deutschland noch mehr als 50 Prozent der Organempfänger.