Farthmanns Mär von der Demütigung der Grünen

■ Die Koalition in Nordrhein-Westfalen ist besser als ihr Ruf. Für dessen schlechte Qualität sorgen die Akteure allerdings meistens selbst

Düsseldorf (taz) – Wenn Daniel Kreutz, linker Abgeordneter der Grünen im Düsseldorfer Landtag, sich zu Wort meldet, dann droht regelmäßig ein Koalitionsgewitter – zumindestens virtuell. Zuletzt ging Kreutz den sozialdemokratischen Sozialminister Axel Horstmann mächtig an. Dessen Vorschlag, die Sozialhilfe um nur etwa ein Prozent zu erhöhen, setzte Kreutz die 6,1-Prozent-Forderung entgegen. Dabei räumte Kreuz zwar ein, „ein richtiges, aber kein realistisches Ziel“ formuliert zu haben, kündigte aber zugleich an, es sei „irreal“, von den Grünen die Zustimmung zu einer Realeinkommenssenkung für Sozialhilfeempfänger zu erwarten. Natürlich ließ die Replik von Horstmann nicht lange auf sich warten. Kreutz mache „mit populistischen Forderungen Stimmung“ gegen die SPD und sorge für eine „ernsthafte Belastung des Koalitionsklimas“. Prompt rauschte eine neuerliche Koalitionskrise durch den regionalen Blätterwald. Wie die Geschichte ausging? Wie vorauszusehen einigten sich Bund und Länder auf die einprozentige Erhöhung. Brav enthielten sich die beiden grünen MinisterInnen Höhn und Vesper im Kabinett der Stimme. Ende einer Krise!

Doch die Ruhe währt in Düsseldorf regelmäßig nur ein paar Tage. Kaum zwei Wochen später schrieb diesmal der sozialdemokratische Wirtschafts- und Verkehrsminister Wolfgang Clement die unendliche rot-grüne Krisengeschichte fort. Weil der grüne Bauminister Vesper als Konsequenz auf die Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen seine Bauaufsichtsämter per Erlaß aufgefordert hatte, den Bauherren von öffentlichen Großbauten zu „empfehlen“, auf PVC-ummantelte Kabel zu verzichten, fuhr Clement Vesper mit „aller Schärfe“ in die Parade: „Verfrüht, voreilig und sachlich nicht haltbar“. Wieder hob ein mediales Krisengeschrei an. Doch in der Sache selbst bewegte das Getöse nichts: Vespers fachlich unangreifbarer Erlaß bleibt in Kraft. Clement unternahm nicht einmal den Versuch, Vesper per Kabinettsentscheidung zu stoppen.

Alltag in einer Koalition, in der es selten einen klaren Sieger gab. In dieser Woche wird Friedhelm Farthmann dafür sorgen, daß differenzierte Betrachtungen ohne Chancen bleiben. Am Mittwoch wird der frühere SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag sein neues Buch vorstellen – gezielt auf den Jahrestag des rot-grünen Bündnisses plaziert. Es enthält jene blumigen Zitate, die geeignet sind, von Flensburg bis München Aufmerksamkeit zu erheischen. Warum gibt es diese Koalition noch, die für den großen Strategen Farthmann doch „von Anfang an zum Scheitern verurteilt war“? Die provokative Antwort des inzwischen in den Landtag nachgerückten SPD-Abgeordneten zielt direkt auf die grüne Seele: Bestand habe die Koalition nur deshalb, weil sich die Grünen von der SPD in einer Weise hätten „demütigen“ lassen, „wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Aber das ist für die SPD die einzige Chance, um einigermaßen überleben zu können. Irgendwann wird natürlich der Punkt kommen, an dem die Grünen das nicht mehr ertragen können.“

Während Vesper das Farthmann- Verdikt als den „Versuch eines isolierten ehemaligen SPD-Spitzenpolitikers“ wertet, „wenigstens über die Medien noch mitzuspielen“, teilen viele Grüne an der Basis durchaus dessen Einschätzung. Gut ein Drittel der Partei, das haben die letzten Parteitage der Bündnisgrünen gezeigt, lehnen diese Koalition inzwischen ab. Dafür, daß sich die Mär von der permanenten Demütigung in den eigenen Reihen festgesetzt hat, trägt die grüne Landtagsfraktion nach den Worten des Abgeordneten Gerd Mai eine erhebliche Mitschuld. Von einer „50%-Verantwortung“ spricht Realo Mai etwa beim Streit um den Dortmunder Flughafen. Mitglieder der Fraktion hätten die eigenen Leute „auf die Bäume gejagt, jedoch ohne zu wissen, wie sie wieder runterkommen“.

Ausgeschlossen sind solche Irrwege auch für die Zukunft nicht, aber inzwischen liegen eine ganze Reihe von Belegen für die wachsende politische Vernunft der rot- grünen Akteure vor. Der Lärmschutzkompromiß zum Köln-Bonner Flughafen zählt ebenso dazu wie die sehr ausgewogene Vereinbarung zur Schulpolitik. Auch in NRW müssen LehrerInnen künftig mehr Stunden unterrichten. Doch das Modell nimmt auf Druck der Grünen Rücksicht auf die unterschiedlichen Belastungen und schafft mittels Arbeitszeitkonten Freiräume, um Mehrarbeit auszugleichen. Eine bessere Antwort auf die Schul- und Finanzmisere dürfte in keinem anderen Bundesland zu finden sein. Mit Blick auf diese Erfolge sieht Michael Vesper „optimistisch in die Zukunft“. Selbst eine Ablösung von Kohl hält er nach dem Düsseldorfer Muster für möglich: „Wir wissen doch, daß Stimmungen sehr schnell wechseln können.“ Walter Jakobs