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Test the Christopher Street Day

Größer denn je und so zerstritten wie nie war der Christopher Street Day. Währen die Polit-Homos um Zigaretten- Sponsoring und die richtige Linie stritten, feierten 50.000 auf der Straße  ■ Aus Berlin Dorothee Winden

Der 18. Berliner Christopher Street Day (CSD) wird unvergeßlich bleiben: mehr als je zuvor kamen zur jährlichen Parade der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen. Unvergeßlich wird aber vor allem der Wolkenbruch bleiben, der die Demonstration für gleiche Rechte in einen wet T-shirt contest verwandelte. Bis auf die Haut durchnäßt, wurde weitergetanzt, auch wenn manches Kostüm dem Platzregen nicht standhielt. Da weichten Engelsflügel auf, die Schminke floß, doch der überschäumenden Stimmung tat dies kaum Abbruch.

Mit 72 Musik- und Motivwagen erreichte der diesjährige Zug Rekordlänge. Dominierten im vorderen Teil der Parade die glitzernden Kostüme à la Karneval in Rio, bot das letzte Drittel des Zuges politischen Karneval. Hier rollte eine „Festung Europa“, ein von Stacheldraht umzäunter Wagen, auf dem ein Richter mit weißer Perücke einen überdimensionalen Stempel schwenkte. Ein Polizist spähte derweil eifrig mit dem Fernglas über die Grenze.

Gäbe es einen Preis für den originellsten Wagen, er ginge an das „1. öffentliche Bundesqueergelöbnis“, die schwule Antwort auf das 1. öffentliche Bundeswehrgelöbnis Ende Mai in Berlin. Zu Marschmusik schwenkten aufgedonnerte Tunten Fähnchen. „Euroklappen statt Eurofighter“ forderten sie und gelobten ansonsten „lesbisch- schwul zu konsumieren und zu verblöden“. Eine klare Absage an die zunehmende Kommerzialisierung des lesbisch-schwulen Feiertages. Die Kritik richtete sich an die Organisatoren der Parade, die erstmals Teilnehmergebühren erhoben hatten, um ihre Unkosten bei Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu decken. Die Abschlußkundgebung wurde von der Zigarettenmarke West gesponsert, die eine Bühne mit Videogroßleinwand zur Verfügung stellte. Im Streit darum, wie teuer und professionell oder wie basisdemokratisch die CSD-Demonstration zu sein hat, waren die KritikerInnen aus dem überwiegend linken Spektrum als „Nassauer und Schmarotzer“ beschimpft worden. Damit hatte der Dissidentenblock seinen Namen gefunden. „Bezahlt wird nicht!“ lautete das Motto der fünfzehn Wagen im hinteren Drittel des Zuges. „Die Demonstration gehört der Lesben- und Schwulenbewegung, nicht irgendwelchen multinationalen Konzernen“, hieß es in einem Aufruf. Den Demo-organisatoren Schwulenverband in Deutschland, dem schwulen Infoladen Mann-O-Meter und dem Ostberliner Sonntagsclub wurde auch eine zu stromlinienförmige Politik vorgeworfen. Während der Schwulenverband vor allem die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare fordert, erhob der Nassauer- und Schmarotzerblock weiterreichende Forderungen: Lesben und Schwule müßten sich auch gegen Sexismus, Rassismus und Sozialabbau stark machen. „Wir wollen uns auf Stonewall beziehen, nicht auf Wallstreet“, hieß es. Ein schwarzes Transparent mit rosa Lettern verkündete: „Die Befreiung der (Homo-)Sexualität ist nur möglich in einer befreiten Gesellschaft.“

Die Masse der Lesben und Schwulen ließ sich vom Streit der Polit-Homos die gute Laune nicht verderben. Über 50.000 waren es nach Angaben der Veranstalter. Warum die Kölner CSD-Parade am 7. Juli mit 100.000 erwarteten TeilnehmerInnen doppelt so viele Lesben und Schwule anzieht wie die Homo-Metropole Berlin, bleibt ein Rätsel. Liegt es an Frontfrau Hella von Sinnen, die am Freitag abend die Eröffnungsveranstaltung „Laß die Sonne in dein Herz“ moderiert? Oder liegt es an den vielen BerlinerInnen, die am nächsten Wochenende nach Köln fahren?

Etwas mehr Sonne hätte auch der Berliner CSD verdient gehabt. Nach einen vierstündigen Fußmarsch vom Ku'damm durch das Brandenburger Tor machten sich viele der Durchnäßten vorzeitig auf den Heimweg. Auf der offiziellen Abschlußkundgebung forderte Hans-Georg-Stümke (54), der in den 70er Jahren schon bei der „Homosexuellen Aktion Westberlin“ aktiv war, gleiche Rechte. Die Tanzenden vor der Bühne forderte er auf, sich auch politisch einzumischen: „Denn mit Konsum und Fun alleine werden wir das nicht schaffen. Wir brauchen deine Ideen und dein Engagement.“

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