Geier über der goldenen Gans

Die Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd soll verramscht werden, weil Großaktionäre mit ihren Anteilen Kasse machen wollen  ■ Von Florian Marten

Der konsequente Profitkurs, den Hamburgs einstige Edel-Reederei Hapag-Lloyd unter ihrem Chef Bernd Wrede steuert, sorgt derzeit für wilde Spekulationen hinter den Kulissen der deutschen Finanzszene. Da der Börsenkurs des Touristik- und Frachtkonzerns mittlerweile bei satten 970 Mark für die 50 DM-Aktie angekommen ist, wollen sich die Konzerne Kaufhof, Agfa-Gevaert und Veba, die zusammen 51 Prozent der Aktien halten, von ihren Anteilen trennen.

Das Unternehmen fährt derzeit die größten Gewinne seiner Firmengeschichte ein, dennoch sind die hochfliegenden Kurse, so meinen unisono Wertpapieranalysisten und Gesellschafter, spekulativ überbewertet. Ein guter Zeitpunkt also für Großaktionäre, sich gewinnbringend von ihren Anteilen zu trennen.

Die Misch- und Konsumkonzerne Veba, Kaufhof und Agfa, einst an Bord gegangen, um ihre Transportinteressen (niedrige Frachtraten) abzusichern, haben jedoch seit Jahren schon kein spezielles Interesse mehr an Hapag-Lloyd, das sich längst von einer deutschnationalen Elite-Reederei zum, so betriebsinterne Spötter, „Reisebüro mit angehängtem Container-Carrier“ gewandelt hat. Konzern-Chef Bernd Wrede hat ganze Arbeit geleistet: Die Sparten Schiffahrt und Fracht wurden durchrationalisiert, deutsche Sicherheits-, Lohn- und Schifführungsstandards längst dem internationalen Niedrigstandard angenähert. Über kurz oder lang dürfte die gesamte Container-Linienreederei, einst Herzstück der deutschen Seeschiffahrt, ausgeflaggt sein.

Um Kasse zu machen, dürfen die Mischkonzerne ihre Anteile natürlich nicht scheibchenweise abstoßen – dies würde die Kurse verderben. Gefahndet wird also nach Großinteressenten, die angesichts des stolzen Aktienkurses nicht nur ein ökonomisches Interesse mitbringen müßten: Gut eine Milliarde Mark für die 51 angebotenen Besitzprozente sind ein Kaufpreis, der auch ein prall gefülltes Portemonnaie voraussetzt.

Als mögliche Lösung bietet sich deshalb an, den Konzern aufzuteilen. Bereits Ende vorigen Jahres lag ein attraktives Übernahmeangebot der Lufthansa AG (bislang 18%-Anteilseigner) für die Sparte Seeschiffahrt vor. Zwei andere Interessenten, dem Vernehmen nach ein hamburgisches und ein britisches Unternehmen, haben es dagegen auf den Touristikbereich abgesehen.

Das Auseinanderdividieren von Touristik und Schiffahrt, eine aussichtsreiche Methode, die goldene Gans zu schlachten, stößt bisher jedoch auf erbitterten Widerstand dreier weiterer Großaktionäre: Der Finanzanleger Veritas, die Deutsche und die Dresdner Bank, die zusammen 30 Prozent der Hapag-Lloyd-Aktien halten, sehen in der Kombination aus ertragssicherem Reisebüro mit eigener Flugzeugflotte und kapitalanlegerfreundlicher Seeschiffahrt (Schiffsneubau) eine solide Verbindung, die sie ungern gesprengt sähen.

Bleibt es beim Nein der Finanzfraktion, dann müßte das Übernahmeangebot von einer Allianz kommen, die auf Reiseprofite und Containerdollar gleichermaßen Appetit hat. Gemunkelt wird bereits von einer Kooperation zwischen der TUI-Gruppe (Tourismus) und der Luft-hansa AG (Seeschiffahrt, Flugzeugflotte).

Sollten tatsächlich Reiseveranstalter Hapag-Lloyd einsacken, wäre der Strukturwandel des Konzerns von der Traditionsreederei zum Tourismus- und Transport-Logistiker auch auf der Eigentümerseite umißverständlich dokumentiert.

Der Aktienbesitz an Hapag-Lloyd (Gesamtwert: rund 2 Milliarden Mark, Aktienkurs 28. Juni 96) teilt sich folgendermaßen auf:

18 % Veba AG

18 % Agfa-Gevaert

15 % Kaufhof AG

18 % Lufthansa AG

10 % Veritas

10 % Dresdner Bank AG

10 % Deutsche Bank AG

01 % Streubesitz