■ Nachschlag
: Sei du selbst! - Quentin Crisp und Tim Fischer im Metropol-Theater

„Ich bin nicht berühmt, ich bin lediglich notorisch.“ Diese Selbstbeschreibung Quentin Crisps erscheint wie eine Mischung aus kokettem Understatement und düsterer Wahrheit. Dieser Exzentriker alter Schule, ein letzter wahrer Dandy, hat es in seinem langen Leben zwar von London nach New York, aber dort auch lediglich in die Lower East Side gebracht („ein kleines Ein-Zimmer-Apartment, das ich seit 15 Jahren nicht mehr geputzt habe“). Er schrieb erfolgreiche Bücher über Etikette („How to become a Virgin“), sein Leben als effeminierter Egozentriker und eigensinniger Selbstdarsteller („Crisperanto“, „Residenz Alien“) wurde Objekt von Dokumentarfilmen, und er selbst spielte kleine Rollen in Filmen wie „Philadelphia“ oder „Orlando“. Einer, der es zu Weltruhm gebracht hat, indem er immer nur er selbst war. Und so lautete letztlich auch seine große Botschaft am Sonntag abend im Metropol: Vergiß alle Vorschriften. Sei du selbst, ganz gleich, was die anderen sagen!

Sein Auftritt war aristokratisch und eine pointierte Lektion in Sachen Lebensberatung. Die 88 Lebensjahre merkt man ihm nicht an, und sein Singsang der Sprache, immer noch very british und ein bißchen snobby, ist unverwechselbar. Seine Hoffnungsbotschaft Nummer zwei des Abends: „Versuche nie auf das gleiche Niveau der Snobs zu gelangen, ziehe sie einfach auf dein eigenes Niveau herunter. Das ist billiger.“ Das Ziel ist klar: Entwerfe deinen eigenen Stil und werde berühmt! Bei Crisp hat es funktioniert. Seine Contenance verbietet es ihm, sich beim Frage-Antwort-Spiel mit dem Publikum wirklich hinter die Fassade blicken zu lassen, die Entbehrungen und Verletzungen, die ein solches Leben an der „Front“ mit sich bringt, spüren zu lassen. Die Liebe ist für ihn lediglich ein Four-Letter- Word, Liebe geben kann er nur universell, sie empfangen nur in Form von Ruhm und Applaus. Den erhielt er und verschwand von der Bühne, um Platz zu machen für den Chansonnier Tim Fischer.

Was versprochen war, nämlich eine Begegnung Crisps mit dem 65 Jahre jüngeren, eigenwilligen, androgynen Sänger, das Aufeinandertreffen zweier Generationen selbstbewußter Selbstdarsteller, fand nicht statt. Gemeinsam mit dem Pianisten und Duettpartner Rainer Bielefeld präsentierte Fischer, frenetisch gefeiert, mit auffallend gereifter Bühnenpräsenz und Stimme Highlights alter Programme (wie „Stroganoff“ von Hollaender) und einen Vorgeschmack auf sein neues Programm mit Verlaine-Vertonungen und einem ironisch-bösen Potpourri zum Thema Heirat.

Die letzten Worte kamen vom Veranstalter Uwe Morawetz von der umstrittenen „Fördergemeinschaft zur Gründung einer Friedensuniversität“. Und bei dieser Information wurde es manchem Zuschauer plötzlich irgendwie komisch im Magen. Der Erlös dieses Abends und der gestrigen Zusatzvorstellung – alle Künstler traten kostenlos auf, und auch die Hausmiete im Metropol-Theater ist erlassen worden – soll zugunsten des Umbaus eines Kriegsschiffs zu einem Künstlerschiff mit Ateliers, Theater u.a. gehen. Das Schiff ankere zunächst in Oakland vor San Francisco. Die ersten Nutznießer des umgebauten Schiffes: die Friedensuniversität! Axel Schock

Bis 3. 7., 22.30 Uhr „Orlando“ mit Quentin Crisp als Queen Elizabeth im „Olympia“, Kantstraße 162