Aus dem Inneren der Uniform

Sie haben zugelangt und geschwiegen. Und wenn Mißhandlungen doch mal rauskamen, gelogen bis zum kollektiven Meineid. Acht Polizisten reden über die Gewalt in den eigenen Reihen  ■ Von Vera Gaserow

Irgendwann in ihrer beruflichen Laufbahn haben sie es alle getan: mit jemandem „den Molly gemacht“, jemanden „zurechtgefaltet“, jemandem „eine getafelt“. Und ausnahmslos haben sie geschwiegen, wenn der „schwarze Diener“, der Gummiknüppel, in der Zelle seinen Dienst versah, wenn Obdachlose auf „Pennerlandverschickung“ in der Walachei ausgesetzt wurden, wenn türkische „Ölaugen“ eine gedröhnt bekamen. „Wenn einer querkam, wurde halt zugelangt“ – Bekenntnise aus dem Inneren der Uniform.

Acht Polizeibeamte hat die Düsseldorfer Diplompsychologin Gerda Maibach über ihren Berufsalltag und die Gewalt in den eigenen Reihen befragt.

In doppelter Hinsicht eine Innensicht des Problems, denn auch die Interviewerin steht indirekt im Dienst der Polizei. Als Lehrbeauftragte für Psychologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung schult Gerda Maibach auch Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen. Herausgekommen ist dennoch ein 200seitiges Taschenbuch, das durch seine Authentizität aussagekräftiger ist als manch bemühte wissenschaftliche Untersuchung.

Die Polizisten, deren Aussagen in dem Band versammelt sind, reden offen – abgeschirmt durch die zugesicherte Anonymität und geschützt vor dem Kollegenkreis, der sie für ihre Bekenntnisse als „Nestbeschmutzer“ oder „Sozialtussis“ abstempeln würde.

Die acht Befragten in grüner Uniform sind nicht repräsentativ, aber sie sind stinknormal.

Sie waren an unterschiedlichen Stationen ihrer beruflichen Laufbahn mittendrin in dem, was einer der Befragten „Sumpf“ nennt, ein anderer „kriminelle Vereinigung“. „Das waren keine Bestien, die da geschlagen haben. Das waren Leute wie ich“, gesteht ein 42jähriger Polizeioberrat ein.

Das Buch ist keine Anklage und keine Entschuldigung. Es fragt nach den Entstehungsmechanismen polizeilicher Gewalt und nach Verhinderungsmöglichkeiten.

Die Antworten mögen überraschen: Nicht die ewig beklagten Faktoren Überlastung, Schichtdienst, schlechte Bezahlung und mangelhafte Ausbildung sind schuld, wenn Polizisten ihr Amt als Lizenz zum Prügeln mißbrauchen. Hauptschuldiger an den Übergriffen der Polizei ist die Polizei selbst. Ihre hierarchischen Strukturen. Das Eigenleben, das sich auf einigen Wachen herausgebildet hat. Die verrohende Mischung aus täglicher Langeweile, Überforderung und Abstumpfung durch ständige Konfrontation mit einer Problemklientel. Die Prägungen, die die jeweiligen Dienstgruppenleiter als „Bärenführer“ vornehmen. Die Gruppenprozesse, in die sich Neulinge entweder widerspruchslos einfügen oder aus denen sie rausgemobbt werden. Eine „Subkultur“ nennt es einer der Befragten, „mit eigenem Gerechtigkeits- und Wertempfinden“.

Den einen Standardsatz haben fast alle an ihrem ersten Arbeitstag gehört: „Was du auf der Polizeischule gelernt hast, kannst du vergessen. Bei uns machen wir das so.“ Was „so“ ist, lernen die Neulinge in kurzer Zeit: Wenn sich die Streifenwagenbesatzung etwa über Funk zurückmeldet: „Laßt schon mal die Jalousien runter im blauen Salon“, dann heißt das: Gleich wird zugelangt auf der Wache, frei nach dem Motto: „Die Strafe, die einer jetzt schon weghat, nimmt ihm später kein Gericht mehr.“ Im Dienstprotokoll steht später: „Der Geschädigte X leistete Widerstand.“

Solange sie selbst zu der Wache gehörten, auf der geprügelt wurde, hat keiner der Polizisten die eigenen Kollegen gestoppt oder „verpfiffen“. Denn dies hätte den Ausschluß aus der Gruppe bedeutet, die häufig auch der einzige private Bezugsrahmen ist. Geschämt haben sich einige für ihr Wegschauen und Schweigen, gewundert darüber, „wie lange das immer gutging“, haben sie sich auch.

Nur in den seltensten Fällen flog mal eine Mißhandlung auf, und dann wurde gelogen – „gekrückt“, wie das im Polizeijargon heißt. Das ging bis zum „kollektiven Meineid“, gesteht einer der Befragten ein. Gelang es nicht, eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt wie gewohnt „abzuschmieren“, dann – so zeigen die Interviews aber auch – hatte das nachhaltige Folgen nicht nur für die polizeiliche Karriereplanung.

Sich rechtfertigen zu müssen in einem Disziplinarverfahren oder gar vor Gericht macht den Beamten auch persönlich zu schaffen. Wer einmal aufgeflogen ist, hält sich deshalb in Zukunft zurück.

Ausländerfeindlichkeit oder gar Rassismus in den eigenen Reihen bestreiten die hier befragten, sonst so offenen Polizisten. Wenn sie in der täglichen Arbeit genauso oft mit Deutschen konfrontiert wären wie mit Ausländern, wären die Deutschen auch genauso häufig Opfer polizeilicher Gewalt, beteuern die Beamten. Eine Beruhigung ist das nicht.

Gerda Maibach: „Polizisten und Gewalt“. rororo aktuell, Reinbeck 1996, 200 Seiten, 14,90 DM