■ Flügelkampf: DGB-Programm für soziale Marktwirtschaft
: Abschied von Gestern

Der Entwurf für das neue DGB-Grundsatzprogramm ist das Ergebnis bemühter und lernbereiter Schreibtisch- und Funktionärsarbeit. Die Gewerkschaften suchen Anschluß. Ökologie, Feminismus, Europa – man berücksichtigt neue gesellschaftliche Konfliktlinien und gibt geschlossene politische Entwürfe auf. Die soziale Marktwirtschaft wird als die geeignetste Wirtschaftsform zur Realisierung gewerkschaftlicher Ziele anerkannt. Soweit ist es ein Nachsitzen. Die Erkenntnisse betreffen die Interpretation der Vergangenheit im Angesicht dessen, was jetzt ist. Lassen sie sich auch für Gegenwart und Zukunft fortschreiben?

Streit entzündet sich am Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft. Das riecht nach alten Flügelkämpfen. In der Tat: Die Traditionalisten schrien auf. Doch auch in den Gewerkschaften sind sie Fossile; die Kräfte gruppieren sich längst kreuz und quer neu. Der Wunsch nach Vertagung der Beschlußfassung, vorgetragen nicht zufällig aus kleineren Gewerkschaften, bringt ein durchaus verbreitetes, sich seiner selbst nicht klares Unbehagen zum Ausdruck. Denn die Programmentwürfe hatten keinen Streit entzündet, die Debatte blieb blutleer. Die Beschlußvorlage wird durch bloße Aneinanderreihung vieler Aufgaben belanglos. Der DGB selbst als Dachverband ist nur noch Hülse, Personalabbau und Effizienz, Konkurrenz und Großfusion bei Marginalisierung der Schwächeren sind längst innere Organisationsprinzipien. Sein Programmvorschlag kennt keine Version von Solidarität nach innen und außen. In die Köpfe dringt soeben ein, daß „soziale Marktwirtschaft“ einmal war und heute grundlegende Neuorientierung nötig ist.

Die Argumentation der Kritiker ist schwach. Doch im Zweifeln liegen sie näher am Puls der Zeit. Denn die verlorene Bedeutung der Gewerkschaften ist mit der Bekundung von gutem Willen nicht wiederzugewinnen. Verabschiedet werden die Heftchen in Regalen verstauben. Ob einer ärmlichen Vertagung Besseres folgt, steht dahin. Zur Misere zu stehen, ist aber nützlicher als Beruhigungspillen zu schlucken. Mechthild Jansen