Kein stinkendes Fett der Schauspielkunst

■ Kammerspiele: Eine Gruppe junger Regisseure und Regisseurinnen hat sich ein Festival organisiert

Gern hört man von jungen Regisseuren in der Ausbildung, daß sie eigene Wege gehen wollen, daß die Staatstheater-Laufbahn nicht ihr großes Ziel ist und daß ihnen das Experiment wieder etwas bedeutet. Zu lange traten Regieschüler und junge Theatermenschen auf ausgetretenen Stadttheater- oder Freie-Szene-Trampelpfaden herum und verwüsteten die Hoffnung mit Langeweile. Die Herren und Damen über die Szene, die sich und ihr Die Wüste lebt!-Festival am Dienstag in den Kammerspielen präsentierten, hatten überwiegend originelle Ideen und Konzepte zu bieten, deren Umsetzung durchaus Sommerloch-gewöhnte Theatergänger zur Hartungstraße treiben sollte.

Die zwei Regisseurinnen und vier Regisseure, die mehrheitlich dem Dunstkreis der Regieschule von Flimm/Brauneck/Bohm in den Zeisehallen entstammen, hat trotzdem kein künstlerischer Leitplan und keine ideelle Leitung zusammengeführt. Und auch die Kammerspiele und die Universität, die der Entstehung des Minifestivals beigestanden haben, stellten keinerlei Vorgaben. So steht innerhalb des Rahmens jedes Projekt für sich, Gemeinsamkeiten und gedankliche Generationslinien wird man erst nach Ansicht des Programms konstruieren können.

Eröffnet wird morgen mit dem Stück Disney Killer von Philip Ridley. Nicolas Stemann, der die Geschichte um zwei Geschwister, die sich vor der bedrohlichen Außen- in eine heimelige Privatwelt zurückgezogen haben, dort aber auch nicht mehr zurechtkommen, inszeniert hat, verspricht, die Geschichte der Angst höchst unterhaltend zu erzählen, denn „ich langweile mich selbst viel zu oft im Theater.“ (Do./Fr., 20 Uhr)

Mario Holetzeck gibt den Bilderbogen der Leidenschaft des romantischen Weltschmerzdichters Alfred de Musset, Die Capricen der Marianne, als Maskenspiel mit vielen Anklängen ans französische Volkstheater (6./7. Juli, 20 Uhr) und danach wirds musikalisch: Hanna Rudolph hat einen Chansonabend in Szene gesetzt (9. Juli, 20 Uhr) und Sandra Strunz hat eine musikalische Geschichte um die Suche eines Kegelclubs nach einem Kegelführer selbst entwickelt, bei der sie die Macht- und Haßstrukturen derartiger Vereine bloßlegen will, ohne sie zu denunzieren: Kegelfreunde oder die Suche nach dem Ich (10./12. Juli, 20 Uhr).

Einem Kafka-Projekt mit vielen Regisseuren, die auch Mimen sind, als Gastspiel der Ernst-Busch-Schule aus Ost-Berlin (11. Juli, 20 Uhr) folgt eine Othello-Adaption, die das Verhältnis von Schwarz und Weiss in Shakespeares Venedig mit Metaphern des Jägerlateins aufzuschlüsseln versucht (Regie: Oliver Schamberger; 13./14. Juli, 20 Uhr) sowie eine alte Arbeit von Falk Richter, der gerade beim Junge Hunde-Festival mit Silicon Death Valley Stories auf sich aufmerksam machte und nächste Saison ein Stück an den Kammerspielen inszenieren wird: Portrait. Image. Konzept. untersucht die Konstruktion von Medienbilder im Pop-Kontext und die Veränderungen, die die jugendlichen Stars beim Reifen durchmachen (13./14. Juli, 22 Uhr).

Also kein Verheben an Klassikern, kein Versuch, die Vätergeneration im Psychologischen zu übertrumpfen, kein stinkendes Bratfett der Schauspielkunst – wenigstens im Ansatz nicht. Und das ist schon viel wert.

Till Briegleb