K.o. für ,Leukämie-Reaktor' Krümmel?

■ Ursache für hohe Cäsium-Konzentrationen in der Elbmarsch trotz eines neues Gutachtens weiterhin umstritten

Der Streit um den „Leukämie-Reaktor“ Krümmel spitzt sich erneut zu. Nach einer im Auftrag des niedersächsischen Sozialministeriums von der Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake erstellten Studie hat das AKW jahrelang stark erhöhte Dosen Radioaktivität emitiert. Ausgangspunkt des Gutachtens ist die ungeklärte Verunreinigung von Regenwasser mit dem Radionukleid Cäsium 137 an der Meßstelle Grünhof – einem von drei Meßpunkten in AKW-Nähe.

Diese hatte der Mit-Betreiber, die Hamburgischen Electricitäts-werke (HEW), seit 1986 in seinen Jahresberichten unter der Rubrik „nicht ausreichend geklärt“ verbucht. Schmitz-Feuerhake hingegen kommt zu dem Schluß: Da andere Verursacher ausscheiden würden, könnten die hohen Cäsium-Werte nur durch radioaktive Freisetzungen entstanden sein, die das 30fache der Grenzwerte erreichten.

Für den Mediziner Hayo Dieckmann, Mitglied der niedersächsischen Expertenkommission zur Klärung der Leukämiehäufungen in der Elbmarsch, kann es deshalb nur „eine Konsequenz“ aus den neuen Begutachtungen geben: die „sofortige Stillegung“ des Atommeilers. Die hohen Cäsiumwerte wurden ausgerechnet am – in der Hauptwindrichtung des Atommeilers gelegenen – sogenannten Hauptaufschlagpunkt gefunden, der Stelle also, an der die größte Menge der Freisetzungen aus der Atomanlage „runtergeht“. Deshalb komme nur Krümmel als Verursacher infrage. Auch Eugen Prinz, Sprecher der „Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch“ sieht deshalb den „Knockout für das AKW Krümmel“ gekommen.

Für HEW-Sprecher Johannes Altmeppen sind solche Aussagen eine „unverantwortliche Polemik“. Er verweist darauf, daß an der besagten Meßstelle auch während der Stillstandszeit des Reaktors 1993/94 erhöhte Cäsium-Werte gemessen worden seien. Sollte das AKW tatsächlich für die hohen Konzentrationen verantwortlich sein, wären die radioaktiven Emissionen 3000 mal so hoch gewesen, wie die Abluft-Meßgeräte des Reaktors angezeigt haben. Altmeppen: „Schlicht unmöglich“.

Zudem wurden die seit langem bekannten Cäsium-Konzentrationen bereits von einer Fachbeamtenkommission der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein und dem Darmstädter Ökoinstitut überprüft. Beide konnten „keinerlei Zusammenhänge“ zwischen den erhöhten Meßwerten und der Leukämie-Häufung in der Elbmarsch entdecken.

Zurückhaltend reagiert das einmal mehr zwischen die Fronten geratene Kieler Energieministerium, das für die Atomaufsicht zuständig ist. Immerhin macht der neue grüne Energie-Staatssekretär Wilfried Voigt „weitergehende atomrechtliche Schritte“ von einer „eindeutigen Bewertung“ des Gutachtens durch die Leukämie-Kommission abhängig. Was Voigt genau weiß: Das heillos zerstrittene Gremium konnte sich in der Vergangenheit noch kein einziges Mal auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen.

Marco Carini