■ Nachschlag
: Das Mutterstück des schwulen Kabaretts in der Bar jeder Vernunft

Eigentlich wollte sich Herr Witten (Corny Littmann) nur mal schnell ein bißchen Möbelpolitur von seiner Nachbarin, der Frau Schmidt (Gunter Schmidt), ausborgen. Schließlich hatte sich seine Mutter zu Besuch angesagt, weshalb die Wohnung bis unter die Häkeldeckchen blitzen muß. Die Schmidtsche – eine Klatschbase in den besten Jahren – ist nicht nur zu Hause und kann aushelfen, sondern nutzt die Gelegenheit, sich mit Hilfe von Himbeerröllchen und dem Fernsehprogramm ihrem ebenfalls nicht mehr ganz taufrischen Nachbarn an den Hals zu werfen. Was natürlich nicht gutgehen kann – weil der Herr Witten ja ein verkappter Schwuler ist. Am Ende bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als sich stolz dazu zu bekennen! Soweit die Rahmenhandlung. Während die beiden nun zwischen den ersten drei Fernsehkanälen hin- und herschalten, wird das ein oder andere Käffchen auf ex getrunken und sich über die Spießigkeit der Welt lustig gemacht. Und zwar nicht nur über die der Heteros, sondern auch über die Borniertheit der Schwulen.

„Wetten, das ist Frau Witten!“ ist zum ersten Mal vor 16 Jahren aufgeführt worden und wurde schnell zum Mutterstück des schwulen Kabaretts. Über 200mal wurde das Stück damals von der Hamburger Theatergruppe Familie Schmidt aufgeführt. Doch 16 Jahre sind eine lange Zeit, und so mancher Gag hat mittlerweile Staub angesetzt. Denn es wird natürlich über die Kirche gelästert und über Politik. Dabei ziehen Littmann/Schmidt über Leute her, die entweder gar nichts mehr zu sagen haben (wie Ronald Reagan oder Helmut Schmidt) oder gar mausetot sind (Hänschen Rosenthal und Breschnew). Daß sich seit den frühen Achtzigern auch in der Schwulenszene so einiges getan hat, muß wohl nicht mehr erwähnt werden. Ob also das Kultstückchen heute auch nur annähernd so provozierend wirken kann wie damals, ist zu bezweifeln. Dennoch brauchen Herr Witten und Frau Schmidt keine Möbelpolitur, um heute noch witzig zu sein. Um es mit Frau Schmidts Worten zu sagen: „Kommen Se rein, die Himbeerröllchen sind schon aufgetaut und die Servietten sind gesteckt!“ Kirsten Niemann

Bis 7. 7., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24