Manche haben sich umgebracht

■ Braunkohlebagger vertrieben seit 1945 30.000 Menschen

Berlin (taz) – Katrin Grüber, die grüne Vizepräsidentin des NRW- Landtags, ist immer noch davon überzeugt, daß das Braunkohleprojekt Garzweiler II noch zu stoppen ist. Die RWE-Tochter Rheinbraun will im Dreieck Köln-Aachen-Düsseldorf ab dem Jahre 2007 pro Jahr rund 40 Millionen Tonnen Braunkohle fördern. Die SPD will den Weg für die Bagger im Tagebau politisch weiter freischaufeln. Gestern wurde im Düsseldorfer Landtag das 370 Seiten starke Buch „Garzweiler II – sozial verträglich?“ vorgestellt. Thema: Läßt sich ein solches Mammutprojekt überhaupt mit den Lebensinteressen der Menschen vor Ort in Einklang bringen?

Besonders hart greift der Dortmunder Städteplaner Peter Zlonicky das von Rheinbraun als mustergültig bezeichnete Planungsverfahren an. „Im gesamten Verfahren der Bürgeranhörung vor zwei Jahren wurden die Interessen der Dorfbewohner mit Füßen getreten. Der für eine Sozialverträglichkeit unverzichtbare Prozeß des Dialogs ist nie zustande gekommen“, so Zlonicky. Und dabei hat die SPD-Landesregierung bereits vor sieben Jahren selbst festgelegt, daß Tagebauprojekte nicht nur unter ökologischen und energiepolitischen Aspekten durchleuchtet werden sollten, sondern die soziale Dimension eine wichtige Rolle spielen sollte.

Besonders nachdenklich bei der Vorstellung des neuen Buches stimmt das von Karl Josef Weinberg recherchierte Kapitel über Selbstmorde im Zusammenhang mit Dorfumsiedlungen im Tagebaugebiet. Im Rheinland sind bei fast jeder Umsiedlung Suizidfälle bekanntgeworden. „Die Dunkelziffer ist sehr hoch, weil die Familienangehörigen die Selbstmorde oft als krankheitsbedingte Todesfälle kaschiert haben“, sagt Weinberg. Für ihn ist es nicht zu fassen, daß der Gesetzgeber zwar eine Umweltverträglichkeitsprüfung von Tagebauprojekten vorschreibt, aber die Frage nach der „psychischen und psychosomatischen Belastung der Menschen durch Umsiedlungsmaßnahmen bisher ausgeklammert wurde“. Weinberg kennt allein drei Selbstmordfälle, die sich im Umfeld des Tagebaus „Zukunft“ ereigneten. Auch sein Vater nahm sich das Leben. Michael Franken