Freilassung im Lübecker Brandmord

■ Nach einem knappen halben Jahr hat die Lübecker Staatsanwaltschaft den Haftbefehl gegen den Libanesen Safwan E. aufgehoben – wegen „erheblicher Zweifel“ an seiner Täterschaft. Sogar der Brandherd ist wieder unklar

Hamburg (taz) – Safwan E. ist frei. Um 15 Uhr öffneten sich für den 21jährigen Libanesen, der von der Lübecker Staatsanwaltschaft dringend verdächtigt wird, am 18. Januar den Brand im Flüchtlingsheim an der Lübecker Hafenstraße gelegt zu haben, die Pforten der Haftanstalt Lauerhof. Bei dem Brand waren zehn MigrantInnen ums Leben gekommen. Nach viertägiger Beratung über einen Haftprüfungsantrag von E.s Rechtsanwältin Gabriele Heinecke war die Jugendstrafkammer des Lübecker Landgerichts zu dem Ergebnis gekommen, daß entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft kein „dringender Tatverdacht“ vorliege, und hob den Haftbefehl nach über fünf Monaten auf.

An der Tattheorie der Staatsanwaltschaft gebe es „erhebliche Zweifel“, demontierten die Richter die Arbeit der Ermittler. Sie attestierten der staatsanwaltschaftlichen Anklageschrift Ungereimtheiten und Beweislücken en masse. Weder sei ein „plausibles Motiv“ des Verdächtigten zu erkennen, noch sei nachzuweisen, daß E. über Einzelheiten des Brandausbruches verfügt habe, die er nur als Brandleger hätte haben können.

Die Anklage gegen Safwan E. ist damit so gut wie zusammengebrochen: Ohne Tatverdacht keine Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Libanesen. Die Staatsanwälte müssen nun hoffen, daß das Gericht in den kommenden Wochen zumindest einen „weniger stark hinreichenden Tatverdacht“ bescheinigt, der für eine Prozeßeröffnung ausreichen könnte. Außerdem erklärte die Staatsanwaltschaft gestern, Beschwerde gegen die Freilassung zu erwägen.

Entscheidend für die weitere Diskussion dürfte die Erklärung des Lübecker Gerichts werden, daß die „Brandausbruchszeit“ nicht feststehe. Die Staatsanwaltschaft hingegen hatte sich darauf festgelegt, daß das Feuer kurz vor 3.30 Uhr ausgebrochen sei und damit drei Jugendlichen aus Grevesmühlen ein Alibi ausgestellt. Die Ermittlungen gegen die Jugendlichen, die nachweislich Verbindungen zur rechten Szene haben, wurden nach wenigen Tagen eingestellt, weil sie um 3.19 Uhr an einer knapp sechs Kilometer vom Tatort entfernten Tankstelle gesichtet worden seien. Daß bei den Kurzzeit-Verdächtigen kurz nach der Mordbrennerei frische Brandspuren an den Augenbrauen und Wimpern festgestellt wurden, irritierte die Staatsanwälte dabei nicht. Die Begründung eines der Jugendlichen für diese Spuren: Er habe einen mit Haarspray besprühten Hund angezündet.

Während die Anklageschrift davon ausgeht, daß Safwan E. im ersten Stock der Flüchtlingsunterkunft Brandbeschleunigungsmitteln oder Benzin ausgeschüttet habe, hoben die Lübecker Richter gestern noch einmal hervor, daß weder an der Kleidung E.s noch in der Brandruine Spuren solcher Chemikalien gefunden worden seien. Nach Auffassung des Gerichts wären bei E. auch „Brandspuren zu erwarten“ gewesen, die über die geringfügigen Verletzungen an den Ohren des Angeschuldigten hätten hinausgehen müssen.

Die Zweifel des Gerichts an der Täterschaft E.s hatten sich durch die Nachvernehmung des Hauptbelastungszeugen Jens L. am vergangenen Sonntag verschärft. Der Feuerwehr-Sanitäter, dem Safwan E. in der Brandnacht gesagt haben soll, „wir waren es“, machte sich dabei unglaubwürdig: Nach über fünf Monaten korrigierte er den angeblichen Zeitpunkt dieses „Geständnisses“ gegenüber früheren Aussagen. Die Telefonnummer dieses Zeugen fand sich inzwischen an unerwarteter Stelle wieder: in den Aufzeichnungen des 18jährigen Skinhead Maik W. (Spitzname Klein-Adolf), einem der zwischenzeitlich verdächtigen Jugendlichen aus Grevesmühlen, der einem Bekannten Anfang Januar verraten hatte, daß er „in Lübeck was anstecken will“. Marco Carini