Konfrontationen im Schlaf

■ Detailversessen betreibt das Debut Unter der Milchstraße ein Vexierspiel um Erwachsenwerden und zwei Schlafwagenschaffner

Es ist der Hang zum ausgefallenen Detail, das den Filmdebutanten verät. In seinem ersten Spielfilm, Unter der Milchstraße, gruppiert M.X. Oberg Springerstiefel zu einem Hausmädchenkostüm, filmt unter einer Brunnenfontaine, durch ein Schlüsselloch und aus der Froschperspektive. Doch es sind genau diese Einstellungen, die Unter der Milchstraße wohltuend vom hiesigen Komödien-Mittelmaß unterscheiden.

Und es sind die Schauspieler. Neben dem wie immer lakonischen Detlef Buck hat Oberg mit der Castorf-Schauspielerin Sophie Rois und Antonio Paradiso vom Burgtheater zwei intensive Jungschauspieler verpflichtet. Paradiso spielt Lukas, einen Schlafwagenschaffner und Gelegenheitsdealer, mit ausgesuchter Schmierigkeit und sicherer Aggressivität. Sophie Rois als struppige Studentin und Hausmädchen ohne Namen hingegen irrlichtern, bei aller Direktheit ihrer Angebote, immer die Augen. Die Doppelfunktion ihrer Rollen gibt beiden dabei die Möglichkeit, vielschichtig zu agieren. Auch wenn beide manchmal etwas überspielen, jede Szene ganz filmuntypisch verdichten, reißen sie Unter der Milchstraße an sich.

Über diese beiden verliert der Abiturient Thomas (Fabian Busch) langsam seine Unschuld, die er noch besaß, als er mit dem Zug nach München kam, um dort zu studieren. Noch im Schlafwagenabteil beklaut, heuert er als Schlafwagenschaffner bei der Bundesbahn an und schläft in der Astronomie-Vorlesung. Sein Ausbilder, der sich mit Bier und Tabletten aufrecht hält, nimmt ihm das Trinkgeld ab, der Revisor prüft peinlich genau jede Handbewegung (inklusive Onanieren) und die verlausten Decken machen Ausschläge.

Langsam mischen sich bei seiner Konfrontation mit italienischen Schwulenbars, Dealern und aggressivem Balzen surreale Elemente ein. Ein Zwerg dreht sich im Kreis, wie losgelassen irrt das Bett im Hotelzimmer umher und Thomas wird von seinem fetten Ausbilder bedrängt. Tagträume und reale Welten sind kaum mehr zu trennen in seinem durchgeschüttelten Tagesablauf auf der Schiene.

Bei diesen Übergängen arbeitet Obergs Team auf Hochtouren. Immer ist die Tonspur einen Schritt voraus, das Quietschen des Betts wird wie in Delicatessen zum Rhythmus des Schnitts und das Summen einer Fliege führt raffiniert in die nächste Szene. So ensteht ein Gefühl für die Orientierungslosigkeit der Nachtschichten in engen, staubigen Abteilen und den Initiationsriten der Erwachsenen. Volker Marquardt

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