Blattgold im Spagat

■ Von samischen Gesängen bis Drum'n'Bass: Das Westport-Jazz-Festival setzt auf Gegensätze

Was man der Musikszene anmerkt, läßt sich auch am Programm des Westports ablesen: eine zunehmende Orientierungslosigkeit über den Verlust eines dominanten Stils. Startete der Jazzport – so hieß das Festival vor der massiven Beteiligung eines Zigarettenherstellers – mit einem puristischen Jazz-Begriff, durchsetzt nur von den Stammgästen Gilberto Gil und Caetano Veloso aus Brasilien, so prägten in den Jahren 1993 und 1994 JazzHop und Acid Jazz das Programm. Doch die Zeit von Essig Jazz ist sogar in Hamburg vorbei, wo man bereits sehr früh eingeschworen wurde. Was sich 1995 schon mit einem Spagat von John Zorn bis George Benson andeutete, wird in diesem Jahr nun fortgesetzt.

Den Anfang, und darüber schließen wir die Augen, machen George Benson, unterstützt von dem Hamburger Pianisten Nils Gessinger, und der – wie man so schön sagt – Vokal-Artist Al Jarreau. Doch bereits am Samstag prallen in der Musikhalle – alleiniger Austragungsort des Festivals, nachdem das Bezirksamt das Festzelt vor den Deichtorhallen nicht genehmigt hatte – mit der samischen Sängerin Marie Boine und dem Junglist Goldie die Gegensätze hart aufeinander.

Der erste Jungle-Künstler, der es zum wiedererkennbaren Star brachte, nennt seinen Stil „Inner City Ghetto Music“. Tatsächlich verquirlt der goldzahngeschmückte Goldie hyperventelierenden Drum'n' Bass mit epischen Soundcollagen, Möven, Gimmicks, Soul-Gesängen und Pop-Patterns. Ging er im Vorprogramm von Björk in der Sporthalle noch ein wenig im Geläuf unter, so verspricht der kleine Rahmen, trotz Bestuhlung, immerhin mehr Nähe. Ein Problem könnte allerdings die Anreise bieten. Nachdem Goldie einem Label-Vertreter in den Arm biß und sich im Flugzeug weigerte, sein Handy abzustellen, bis die Maschine umkehren mußte, hat er bei einigen Fluggesellschaften keine Flugerlaubnis mehr. Aber zur Not gibt es ja noch den Euro-Tunnel.

Auch Coolio hinterließ vor einigen Monaten im Gaswerk einen gespaltenen Eindruck, wartete man bei dem Rapper mit der Sturmfrisur doch arg ungeduldig auf die beiden Hits „Fantastic Voyage“ und „Gangsta's Paradise“. Ein Höhepunkt wird sicherlich der erste Hamburg-Auftritt von Massive als Band. Was Goldie für Drum'n'Bass ist, sind die nach dem Weggang von Tricky zum Duo geschrumpften Bristoler Tüftler für TripHop. Als sie 1991 auf ihrem Debüt Blue Lines Soul-Versatzstücke derart verlangsamten, wurde das neue Genre aus der Taufe gehoben. Bei ihrem letzten Album, Protection, allerdings tauchten sie allzu sehr in seifige Moods ab, so daß erst die Nachbearbeitung durch die Dub des Mad Professors den Stücken ihr Korsett zurückgab. Volker Marquardt