Andauern des Momenthaften

■ Eine Kollektivlesung zum „Körper in der Stadt“ in der Sommerakademie

Wer seinen Körper am Dienstag abend in Richtung Esplanade zur Evangelischen Akademie beförderte, wurde Zeuge einer überraschenden Kollektivlesung. Im Rahmen der 15. Sommerakademie, die in diesem Jahr unter dem stadtsoziologisch inspirierten Titel Spielräume – Stadtansichten – Lebensräume stattfindet, versprach das Programm eine Lesung zum Thema „Der Körper und die Stadt“.

Angekündigt waren die beiden Literatinnen Sabine Stein und Hilke Veth (letztere ist übrigens Gewinnerin des diesjährigen Hamburger Literaturförderpreises). Tatsächlich saßen dem recht zahlreich erschienenen Publikum aber noch ein volles Dutzend weiterer Vortragender gegenüber.

Als Dozentinnen des „Kreatives Schreiben“–Seminars an der Fachhochschule für Gestaltung hatten Sabine Stein und Hilke Veth nämlich die Teilnehmer ihres Kurses dazu animiert, ihre literarischen Auswürfe an die geneigte Öffentlichkeit zu bringen.

Wenngleich der Amateurstatus der Rezitierenden zu Beginn etwas Unmut unter dem doch sehr zahlreichen Besuch erregte – „Lauter! Lauter!“-Rufe wurden laut –, wiesen die meist zwei- bis dreiminütigen Vorträge doch die altbekannte Würze der Kürze auf. Das unterhaltende Prinzip des abwechselnden Lesens spiegelte dabei Ideen, die auch die Textinhalte bestimmten: Der Schwerpunkt lag auf den flüchtigen Augenblicken, dem Teil-in-der-Masse-Seins, dem Andauern des Momenthaften.

Konkret äußerte sich das meist in Form detailliert-impressionistischer Beschreibungen. Literarische Experimente wurden zwar größtenteils vermieden, dennoch eröffneten sich teilweise eindrucksvolle Beobachtungsperspektiven. Auffallend war beispielsweise eine Thematisierung der Unbeobachtbarkeit des eigenen Beobachtens: Die Schilderung, wie ein Betrachter den von ihm beobachteten Hinterhof betritt als „Teil meines eigenen Hinterhofbildes“.

Unterbrochen wurden die literarischen Kurzformen durch eher essayistische Exkurse der beiden Dozentinnen, die das Thema „Großstadt und Schreiben“ näher zu beleuchten versuchten. Schade nur, daß dabei zivilisationskritische Klischees aufgewärmt wurden: Die ungute, anonyme Großstadt, in der es ja gar keine Natur gibt, nur TV, trage dazu bei, daß die „Sinnlichkeit“ abhanden komme. Auch würde die „Lust an der Literatur“ durch das entindividualisierende Studium der Literaturwissenschaft vertrieben. Schon gemein, das.

Zum Glück läßt sich aber bilanzieren, daß auch solch esoterisch angehauchtes Gedankengut nicht schlecht machen konnte, was ansonsten gut war. Wurde doch immerhin einigen großstädtisch geplagten Körpern zwei Stunden lang unterhaltsame Streßfreiheit beschert.

Christian Schuldt