Betr.: Neuer Film von Jacques Rivette: "Vorsicht: Zerbrechlich!"

Drei Demoisellen tänzeln in Jacques Rivettes neuem Film „Vorsicht: Zerbrechlich!“ auf Rollerblades, roten Lackschuhen und Einbrechersohlen durch einen Pariser Sommer wie aus dem Surrealistenmanifest. Alle müssen sich blitzschnell neu erfinden. Die Blondine des Gangsters, Ninon, hat einen Schuhtick und behilft sich mit unorganisierter Kleinkriminalität. Louise lag fünf Jahre im Koma, spricht mit ihrem Vater nur noch über Zimmerfunk und läßt sich wider Erwarten auch beim russischen Roulette nicht austricksen. Quivive! Ida, die gern kräftige Würste ißt, kennt Vater und Mutter nicht, hat aber ein Lied im Kopf, das man ihr in grauer Vorzeit (sie denkt: noch im Mutterbauch) gesungen haben muß. Anna Karenina singt es dann, in einem Nachtklub. Keine einzige der Geschichten hat einen irgendwie erwartbaren Ausgang.

Merce Cunningham hat die Choreographie indirekt zu verantworten, nach der die drei Damen und diverse freundliche männliche Satelliten mitunter plötzlich und unerwartet in Tanz und Gesang ausbrechen („Nun koch schon den Teee-h-heee-eee“). Gespielt, verhandelt, promeniert und geflirtet wird auf grünen Nebenstraßen, in Parks und Bibliotheken. Die Luft ist frisch und zukunftsträchtig.

Plötzlich hat man eine hauchzarte Vision davon, was Kino in den neunziger Jahren sein könnte: schlagfertig und ironisch wie Reed Stillwaters „Barcelona“, alltagsromantisch wie Rohmer, melodiös und lustig wie Jacques Demy, und was der Reverenzen mehr sind.

Da ist es menschenverachtend und ein Skandal, daß der Film mit einer einzigen Kopie für ganz Deutschland auskommen muß. Hält man uns hier für einfältige Schmocks, denen man zwar den neuen „Werner – das muß kesseln“ in zig Kinos andient, diese kleine Sommerperle „Vorsicht: Zerbrechlich!“ aber vorenthält? Bürger in München, Hamburg, Bremen und Vicht: Duldet es nicht! mn

„Vorsicht: Zerbrechlich!“ Regie: Jacques RivetteFoto: Verleih