■ Die Debatte über die Wehrpflicht ist überfällig
: Kein Staatsbürger mehr in Uniform

Der Anlaß ist der falsche, die Debatte aber dennoch die richtige: Es geht nicht um die Milliarden, die der Bonner Verteidigungshaushalt verschlingt – es geht darum, die Konsequenzen aus dem Ende der Ost-West-Konfrontation zu ziehen und die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen. So wie die Dienstpflicht immer mit der Verteidigung der Bundesrepublik begründet wurde, so ist sie auch mit dem Fall der Mauer hinfällig geworden. Für den Staatsbürger in Uniform ist der Auftrag ausgelaufen.

Mit der Streitkräftereform und der damit verbundenen Aufstellung sogenannter Kriseninterventionskräfte hat Verteidigungsminister Rühe organisatorisch den Konsequenzen der veränderten Sicherheitslage sogar schon Rechnung getragen. Aber eben nur organisatorisch. So umstritten wie die Einsätze dieser neuen Verbände immer sein werden: Unbestritten bleibt, daß sie mit der klassischen Verteidigung des eigenen Territoriums wirklich nichts gemein haben. Auch Rühe weiß, für den militärischen Einsatz in x-beliebigen Krisenregionen fehlt ihm jede Legitimation, um Wehrpflichtige dorthin abzukommandieren.

Die vielbeschworene Wehrgerechtigkeit, die von Verteidigern der allgemeinen Dienstpflicht ins Feld geführt wird, taugt als Argument ebenfalls nicht. Gegenwärtig leistet ein Drittel der Wehrpflichtigen den Dienst bei der Bundeswehr, ein Drittel macht Zivildienst, und immerhin ein Drittel geht leer aus. Schon heute herrscht das Prinzip Zufall. Und mit jeder weiteren Finanzkürzung bei der Bundeswehr wird die sogenannte Wehrgerechtigkeit noch fragwürdiger.

Das entscheidende Argument, an der Wehrpflicht festzuhalten, wird öffentlich dagegen kaum zur Sprache gebracht. Es heißt Ersatzdienst. Die Zivis leisten unbezahlbare Dienste vor allem im Sozialbereich. Der Wegfall der Wehrpflicht hätte eine drastische Leistungskürzung und eine riesige Kostenlawine in den sozialen Sicherungssystemen zur Folge. Thematisieren möchte die Bonner Politik dies aber nicht. Denn damit wäre dann der immer wieder behauptete Vorrang des Wehrdienstes vor dem Ersatzdienst mit einem Mal perdu. So ist es kein Wunder, wenn in der jetzt von den Liberalen angezettelten Debatte über die Wehrpflicht weniger einer Berufsarmee, sondern immer häufiger einem „sozialen Pflichtjahr“ das Wort geredet wird. Wolfgang Gast