Die Schlinge um den Hals wird enger

Der bosnische Serbenführer Karadžić wird sein Katz-und-Maus-Spiel nicht endlos weitertreiben können. Die Entscheidung über sein Schicksal muß in Belgrad getroffen werden  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Der Druck auf Radovan Karadžić wächst. Am Dienstag abend erneuerte die US-Regierung ihre Forderung nach einem Rücktritt des bosnischen Serbenführers von seinen Ämtern als Präsident der sogenannten „Serbischen Republik“ in Bosnien-Herzegowina und als Vorsitzender der Serbischen Demokratischen Partei (SDS). Dennoch gibt sich Karadžić wendig wie eh und je. Ob der ehemalige Psychiater die Welt jedoch noch einmal brüskieren kann, ist fraglich geworden.

Immerhin gelang es ihm, seine Bastion in Pale auszubauen. Fast einstimmig wurde Karadžić in der vergangenen Woche als Vorsitzender der SDS wiedergewählt. Und er weiß, daß die gesamte Führungsriege der Serbischen Republik an ihn gebunden ist. Als einziger Politiker dieser Riege verfügt er über das nötige Charisma, um die Partei an der Macht zu halten. Viele Serben Bosniens waren schon vor dem Krieg vom Redetalent Karadžićs begeistert. Daß er als Kriegsverbrecher angeklagt ist, stört sie nicht. Dieser Umstand dient lediglich als Beleg dafür, daß die ganze Welt sich gegen die Serben verschworen hat.

Ohne Karadžić, dessen Popularität ungebrochen ist, dürfte die SDS Mühe haben, die Wahlen im serbisch kontrollierten Gebiet für sich zu entscheiden. Das jedenfalls geht aus Umfragen hervor, die allerdings höchstens eine Tendenz angeben.

Der zweite Mann hinter Karadžić, der Parlamentspräsident Momsilo Krajsnik, ist mit ein bis zwei Prozent Anhängern wohl kaum in der Lage, die Aufgaben des Spitzenkandidaten zu lösen. Und auch die anderen Mitglieder der engeren Führung, die ehemaligen Universitätsprofessoren Biljana Plavsić, Alexander Buha oder Nikola Koljević, hätten ohne die Unterstützung von Karadžić wohl kaum eine Chance, die Wahlen für sich zu entscheiden.

Über Biljana Plavsić wird selbst in Pale gespöttelt, ihre manchmal demonstrativ zur Schau gestellte Radikalität wirke sogar auf den inneren Kreis abstoßend. Dagegen verfügen der Shakespeare-Spezialist Nikola Koljević und der Sprachwissenschaftler Alexander Buha sogar noch über Sympathien bei ehemaligen Nachbarn in Sarajevo, die sich lediglich darüber wundern, warum die beiden zu Beginn des Krieges auf die Seite von Karadžić gewechselt sind. Doch Führungspersönlichkeiten sind auch sie nicht.

Ohne Karadžić geht es also nicht. Und doch muß er auf den Druck von außen reagieren. Die Androhung von Sanktionen ist nicht wirkungslos geblieben, insbesondere jener, die von Belgrad ausgehen. Riskierte der serbische Präsident Slobodan Milosević einen offenen und völligen Bruch mit Karadžić, würden die Aussichten der Führungsriege in Pale noch düsterer werden. Die Abgabe seiner Vollmachten als Präsident an seine Stellvertreterin Plavsić signalisiert vor allem eins: Karadžić muß einerseits der internationalen Öffentlichkeit gegenüber nachgeben, darf aber andererseits gegenüber der eigenen Öffentlichkeit nicht ins Wanken geraten. Dieser Spagat ist aber kaum durchzuhalten. Karadžić wird auf Dauer nicht deutlich machen können, daß er lediglich dem „ungerechten äußeren Druck“ weicht, ohne die Macht aus den Händen zu geben, und andererseits so zu tun, als sei er von der Macht entfernt.

Denn das nächste Ungemach ist schon da. Sollte Karadžić nicht tatsächlich von der politischen Bühne verschwinden, könnten die Kandidaten der SDS nämlich von den für den 14. September in Bosnien geplanten Wahlen ausgeschlossen werden. Dies sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Nicholas Burns, am Dienstag abend. In Dayton ist hierzu eigens ein spezieller Mechanismus festgelegt worden: Eine Kommission aus Juristen müßte zuerst untersuchen, ob die Serbische Demokratische Partei den Zulassungsbestimmungen für die Wahlen genügt, wenn sie an der Kandidatur von Karadžić festhält. Die Konsequenzen wären von großer politischer Bedeutung: Würde die Karadžić- Partei von den Wahlen ausgeschlossen, könnte vor allem die Sozialistische Partei des serbischen Präsidenten davon profitieren.

Daß gerade zum jetzigen Zeitpunkt die Anhörung vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag in Sachen Karadžić und Mladić stattfindet, scheint ebenfalls kein Zufall zu sein. Die Schlinge um den Hals von Karadžić wird immer enger gelegt.