Der balkanische Zeichenkreis

Wie verhält sich Nazikunst zu Disco? Der Dokumentarfilm „Predictions of Fire“ sieht die Gruppe Laibach als Orakel des jugoslawischen Zerfalls  ■ Von Thomas Groß

Sind sie nun Faschisten oder nicht? Die Frage ist natürlich nur der Köder, das Verkaufsargument für diesen Film, der, genaugenommen, nicht einmal zentral von Laibach handelt. Der Untertitel „A Film About Art, Politics And War“ trifft viel besser, worum es Regisseur Michael Benson (Ex-Rolling Stone) gegangen ist: einen Montagekreis zu ziehen um die Kunstavantgarde im Slowenien der achtziger Jahre, der die Gruppe Laibach, skandalöserweise nach dem Besatzernamen für Ljubljana benannt, als Sektion Musik/Propaganda angehörte, und gleichzeitig eine Spur zu verfolgen, die hinführt zu den „ethnischen Säuberungen“ der Neunziger im ehemaligen Jugoslawien.

„Wir glauben an die Zukunft und werden sie, wenn nötig, in der Vergangenheit suchen“ – kaum ist die Eröffnungssequenz (ein Hirschgeweih, das sich nach Art alter Wochenschauen um eine Weltkugel dreht) vorübergerauscht, läßt Benson auch schon die Zitate aufmarschieren zu einem Zug durch ein Jahrhundert der Schlachten und des Terrors. Stiefel in mausgrau, k. u. k. Militarismus, Kornkammerphantasmen, wechselnde Politikerreden in Flackerbildern vor eindrücklich versammelten Massen, dazwischen realsozialistische Pompfassaden mit großgeletterten Aufschriften („ART AND TOTALITARISM DO NOT EXCLUDE EACH OTHER“), Funktürme, bonanza- artig abbrennende Landkarten und atavistische Feuerzeichen – die slowenische Geschichte, wie sie aus den Archiven quillt, vermischt sich schon hier mit den ästhetischen Statements Laibachs, nur notdürftig gedubt von einer deutschen Kommentarstimme, die direkt aus der Kreisbildstelle zu kommen scheint.

Grober Handlungsstrang der Montage der Attraktionen: Im ersten Weltkrieg werden slowenische Soldaten für Großmachtzwecke zwangsrekrutiert, im zweiten Weltkrieg marschieren die deutschen Faschisten ein im „Kindergarten Gottes im Herzen Europas“, wie der nördliche Teil des Balkan in der idyllisierenden Rede verlorener Traditionen genannt wird. Tito und seine Partisanen schließlich bringen den Zusammenschluß des europäischen Hinterhofs unter dem Staatennamen „Jugoslawien“, offiziell ein Akt der Befreiung und progressiver Schritt in den real existierenden Sozialismus, aber Bensons Schnitte und Laibachs simulierte Propagandarede buchstabieren das Geschehen anders.

„Das Material der Laibach-Manipulation ist Taylorismus, Bruitismus, Nazikunst und Disco“ – analog zu westeuropäischen Neoavantgarde-Popbewegungen der Achtziger arbeiten Laibach und der gesamte Kunststaat der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) an einem bilderstürmerischen Aufstand der Zeichen, der das Apparatschikhafte der staatlichen Beruhigung reinszeniert und vorführt. Alles kehrt zurück: die nackten Oberkörper der in Stahl genieteten innerstädtischen Arbeitermonumente, die siebten Kreuze des geheiligten Antifaschismus, der gesamte Heldenbüstenkitsch des verordneten Spießersozialismus. Die Deutsch-amerikanische Freundschaft (DAF – schon hier die ästhetische Westbindung im Kürzel) sang „die lustigen Stiefel marschier'n über Polen“, Laibach antworten kongenial mit ihrer Variante der Neuen Slowenischen Welle: Tanz den General Tito.

Richtig erkennt Benson, daß die Neue Slowenische Kunst in den Achtzigern ungleich weiter und poppiger war als beispielsweise die Dissidenz der DDR, die sich heute noch mit dem Erbe Wolf Biermanns und seiner Oma-Meume- Rhetorik herumzuschlagen hat. Im „offenen Sozialismus“ Jugoslawiens, der die relativ stasifreie Möglichkeit zu touristischen Kontakten bot und sogar der repressiven Toleranz eine bescheidene Chance gab, konnte auch eine Figur wie Slavoj Žižek gedeihen. Benson zieht den slowenischen Psychoanalytiker und Lacanisten, dessen broken English man deutlich die internationale Kongreßerfahrung anmerkt, als Kronzeugen der jugoslawischen Staatsimplosion heran: Laibach, so doziert Žižek in schöner Hemmungslosigkeit, habe mit seiner Subversion des offiziellen Begehrens recht behalten, weil die Gruppe das Symptom völlig ironiefrei ernster nahm als es selbst. Nur so konnte die Neue Slowenische Kunst „Predictions of Fire“ liefern – als Simulacrum der Faszination der Macht.

Prompt zieht Benson nach und interpretiert Laibachs Belgrader Konzert, in dem der Sänger im Tschetnikhelm Milošević-Reden ventilierte, als semiotisches Orakel des heraufziehenden Krieges. Ein schöner Schluß im Sinne des balkanischen Zeichenkreises – und auch noch konsequent in der Verschränkung ererbter Avantgardestrategien mit dem ethnischen Unglück des „Kindergarten Gottes“ – , aber doch sehr gebannt in die Faszination des Laibachschen Theaterdonners. Das Unbewußte in seiner Reinszenierung als „obsessive Neurose“ (Laibach) – es hat ja immer gleich recht oder unrecht, ist Austreibung des Mythos mit Mythen. Etwas hilflos verfolgt Benson, wie die nach dem staatlichen Zusammenbruch Jugoslawiens gewissermaßen objektlos gewordenen Helden der Neuen Slowenischen Kunst in Quentin-Tarantino-Anzügen New York heimsuchen und magische Kreuze auf die Dächer von Hochhäusern malen. Was wollen sie noch? Die Spiele der Achtziger weiterspielen? Im Galerientourismus verschwinden? Einfach nur im Geschäft bleiben?

Schade, daß die ansonsten prima Dokumentation „Predictions of Fire“ der Außenhaut des Künstlerischen allzusehr aufsitzt. Der unterdrückte Subfilm „In Bed With Laibach“ wäre auch den ein oder anderen Aufklärungsmoment wert gewesen.

„Predictions of Fire“. Regie: Michael Benson. Der Regisseur wird anwesend sein. Im Rahmenprogramm: Rasto Mocnik, Theoretiker aus Slowenien mit einem Lichtbildervortrag, außerdem Mona Mur, bekannt aus Auftritten mit den Einstürzenden Neubauten, die mit Klangbeispielen in das Werk von Laibach einführt. Das alles im Rahmen der „TeleVisionen“, des geplanten Europäischen Fernsehfestivals Berlin, um 21.45 Uhr im Freilichtkino Bethanien, Mariannenplatz, Kreuzberg