Autofahrer doppelt zur Kasse gebeten

■ 150.000 Ostberliner Autofahrer sollen Kraftfahrzeugsteuern der Jahre 1991 und 1992 nachzahlen, weil sie dem Finanzamt die damalige Zahlung nicht mehr nachweisen können. Bereits 24.000 Einsprüche

Massenhafte Proteste ernten derzeit die Finanzämter mit ihrem Versuch, bei Ostberliner Autofahrern ein zweites Mal die Kraftfahrzeugsteuern der Jahre 1991 und 1992 einzutreiben. Bislang sind bereits 24.000 Einsprüche gegen die Zahlungsaufforderung eingegangen, bestätigte Pressereferent Konrad Werpuschinski von der Oberfinanzdirektion. Insgesamt sollen über 150.000 Ostberliner Fahrzeughalter zur Kasse gebeten werden. Mit nahezu fünfzehn Millionen Mark Nachzahlung rechnen die Finanzämter.

Die Aktion der Finanzämter ist ein spätes Echo der Anpassungsschwierigkeiten nach der deutsch- deutschen Vereinigung. In der DDR wurde die fahrzeugbezogene Kraftfahrzeugsteuer auf den Postämtern eingezahlt. Als Beleg gab es eine Steuermarke, die in ein entsprechendes Heft eingeklebt und bei Kontrollen vorgezeigt werden mußte. Bei einem Fahrzeugverkauf wanderte die Steuerkarte mit. Auch nach der deutschen Einheit wurde für die Jahre 1991 und 1992 die Regelung beibehalten, die Steuer bei den Postämtern zu entrichten. Auch das Steuermarkensystem wurde beibehalten. Das Problem: ob die Kraftfahrzeugsteuer bezahlt wurde, war allerdings für die Finanzämter überhaupt nicht nachzuprüfen. Das eingenommene Geld nämlich wurde von der Post nur pauschal abgerechnet, nicht aber einem Halter oder Fahrzeug zugeordnet.

Genau dies ist nun Anlaß der gigantischen Überprüfung. Von rund 450.000 Ostberliner Fahrzeughaltern forderte die Oberfinanzdirektion seit Anfang 1995 den Nachweis über die gezahlten Beträge – beispielsweise für einen Trabi 108 Mark oder einen Wartburg 180 Mark pro Jahr. Insgesamt 150.000 Halter, so Werpuschinski, konnten die Steuerkarten nicht vorlegen. Die Karten seien längst weggeworfen oder bei Halterwechsel wie in DDR-Zeiten dem Nachbesitzer übergeben worden, beteuerten die ehemaligen Halter.

Doch das Finanzamt bleibt hart. Ganz bürokratisch beruft man sich darauf, daß man in den Jahren 1991 und 1992 per Aushang in den Postämtern die Steuerzahler aufgefordert habe, die Karten aufzuheben. Selbst Fotokopien der Steuerkarte werden vom Finanzamt nicht anerkannt. Auch wenn die gesamte Familie schwöre, man habe bezahlt, sei dies belanglos, heißt es beim Finanzamt.

Über die Problematik ist sich Werpuschinski durchaus bewußt: Die Situation sei „unbefriedigend“, selbst wenn „den Buchstaben des Gesetzes Rechnung getragen wird“. Zumal auch die Oberfinanzdirektion davon ausgehe, daß die große Mehrzahl der Kraftfahrzeugbesitzer die Steuern tatsächlich entrichtet habe. Er schiebt den Schwarzen Peter an den Landesrechnungshof weiter: Dieser habe unnachgiebig auf die Überprüfung der Zahlungen gedrungen. Daß es anders geht, macht freilich Mecklenburg-Vorpommern vor. Dort darf die Zahlung auch auf andere Weise nachgewiesen werden als nur über die Steuerkarte.

Rund fünfzehn Millionen Mark soll die Überprüfung der Ostberliner Autohalter einbringen, doch das könnte eine Milchmädchenrechnung sein. Verwaltungsintern wird bereits von einem „Pyrrhussieg“ gesprochen. Zur Überprüfung der 450.000 Ostberliner Halter mußten nämlich mehr als fünfzig Aushilfskräfte eingestellt werden. Gerd Nowakowski