Aus dem Setzkästchen geplaudert Von Klaudia Brunst

Ich hatte das alles natürlich längst vergessen. Und wenn mein CD- Player am letzten Wochenende nicht unerwartet seinen Geist aufgegeben hätte, wäre es sicher auch gar nicht so weit gekommen. So aber waren wir plötzlich wieder auf meine alte Plattensammlung angewiesen – und unversehens in den Zeittunnel geraten.

Es war meine Freundin, die das „Köln Konzert“ zwischen all dem Plunder auf dem Hängeboden wieder hervorgezogen hatte. „Keith Jarrett!“, rief sie aus und pustete mit verklärten Augen den Staub der achtziger Jahre von dem abgegriffenen Doppelalbum, „den habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gehört!“

Kaum waren die ersten Klavierakkorde erklungen, da hatte uns unsere Jugend auch schon fest im Griff. „Ich weiß noch genau, wann ich das Stück zum ersten Mal gehört habe“, erinnerte sich meine Freundin leise. „In Kallis altem VW-Bus. Auf der Rückfahrt von der großen Friedensdemo in Bonn.“ – „Oh Gott, die Rheinwiesen!“ stöhnte da mein schwuler Freund, „wißt ihr noch? Das war doch so ein total heißer Tag, damals. Und wir hatten natürlich kein bißchen Wasser, sondern nur Lambrusco dabei. Gott, war ich da breit.“ – „Saufen für den Frieden! Damit wärst du in unserer Bezugsgruppe aber nicht durchgekommen“, meinte unsere Nachbarin unerwartet streng, „das hätte unser Kaplan nie zugelassen.“

„Ach ja, die Katholische Junge Gemeinde!“ lächelte mein schwuler Freund von dieser Kritik völlig unbeirrt weiter und wiegte sich sanft zu den Klängen des „Köln Konzerts“ hin und her. „Also ich weiß auch noch genau, wann ich das zum ersten Mal gehört habe: Bei den Exerzitien in Altenberg zu Ostern 1979. Oder war es 80?“ – „Du warst auch mal katholisch?“ wurde nun unsere Nachbarin hellhörig. „Ich war sogar Ministrant!“ korrigierte er sie und deklamierte unter Zuhilfenahme seines Rotweinglases: „Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach“ – „Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“, komplettierte unsere Nachbarin prompt und nahm ob dieses peinlichen Reflexes mit hochrotem Kopf einen besonders kräftigen Schluck aus der Weinflasche.

Überhaupt war es dann alles in allem noch ein höchst weinseliger, der Vergangenheit verpflichteter Abend, dem wir uns nach anfänglicher Scheu offensiv stellten. Unsere Nachbarin erbarmte sich unser (und der Blase unseres Hundes) und brachte von der BP- Tanke eine große Flasche Lambrusco mit. Meine Freundin holte aus der Küchenschublade eine Haushaltskerze, die wir auf die mittlerweile geleerte Burgunderflasche steckten, weigerte sich aber strikt, auch noch das kleine Beutelchen Vanilletee anzubrechen, das sie aus Sentimentalität seit mehr als zehn Jahren an ihrem Pinbrett hortet.

Wir hörten ein bißchen Joan Baez, Donavan und Kate Bush, summten bei „Bridge over troubled water“ leise mit, begrüßten den anbrechenden Tag mit Cat Stevens' „Morning has broken“, kamen aber schließlich doch wieder zu Keith Jarrett zurück. „Kann man übrigens total gut drauf ficken“, meinte mein schwuler Freund schließlich, als er sich etwas angeschlagen von uns verabschiedete. „Wenn man es recht bedenkt – sooo doof war die Zeit in der KJG dann auch wieder nicht.“