Tschechien: Neue Chefs

Die Regierung verkaufte bisher Zehntausende von Betrieben für insgesamt eine Billion Kronen  ■ Aus Prešov Dietmar Bartz

Gestern wurde die neue tschechische Regierung im Thronsaal des Prager Schlosses vereidigt. Er hoffe, daß das neue Kabinett die begonnenen Reformen fortsetze, so Staatschef Václac Havel. Der neue und alte Regierungschef Václav Klaus hat allerdings seine konservative Parlamentsmehrheit verloren. Seine Minderheitsregierung braucht die Unterstützung der Sozialdemokraten.

Ein für die Wirtschaftsreformen bisher sehr wichtiges Ressort fehlt im neuen Kabinett: das Privatisierungsministerium. „Das Ausmaß der Arbeit rechtfertigt es nicht mehr“, sagte Jiři Skalický, der die Behörde fast vier Jahre geleitet hat. Skalický wird aber nicht arbeitslos, er gehört dem neuen Kabinett als Umweltminister an.

Die meisten der 312 Beschäftigten des Ministeriums sind bereits gekündigt. Rund 100 Angestellte wechseln ins Finanzressort, wo sie die verbleibenden Fälle bearbeiten sollen. Die Aufsicht über den Treuhand-ähnlichen „Fonds für Volskeigentum“ (FNM) geht auf den Finanzminister über.

2.000 Staatsbetriebe wurden liquidiert

Als Schaltstelle für die Entstaatlichung der tschechischen Wirtschaft hatte das Privatisierungsministerium 2.000 Staatsbetriebe liquidiert, 70.000 Restitutionsanträge beschieden, 2.500 Genossenschaften Ausgleichszahlungen zugesprochen und 800 Immobilien an Gemeinden zurückgegeben. Im Rahmen der „Kleinen Privatisierung“ versteigerte es 22.000 Einheiten, überwiegend Handels- und Handwerksbetriebe. Die „kleine Privatisierung“ umfaßte in zwei Wellen zusammen 1.849 Betriebe im Wert von 367 Milliarden Kronen (rund 20 Mrd. Mark). Über sogenannte Kouponhefte konnte jeder Bürger und jede Bürgerin Aktien an diesen Unternehmen erwerben oder, ein häufig genutzter Weg, dieses Recht einem Investitionsfonds überlassen.

Vor allem hat das Ministerium insgesamt 4.500 Staatsbetriebe im Wert von rund einer Billion Kronen (rund 55 Milliarden Mark) privatisiert. Sie wurden allerdings meist direkt an Investoren verkauft – überwiegend an ausländische. Als größter Mißerfolg gilt die gescheiterte Privatisierung des hochverschuldeten Schwerindustrie-Giganten Poldi in Klado, den das Ministerium einem privaten Geschäftsmann zuschlug, ohne Garantien dafür zu verlangen. Wegen Unregelmäßigkeiten, an denen auch Vertreter der Regierungsparteien beteiligt waren, gerieten eine ganze Reihe von Unternehmen ins Gerede. Außerdem waren Bestechungsgelder von acht Millionen Kronen, rund einer halben Million Mark, ausgerechnet an den Chef des Zentrums für die Kuponprivatisierung geflossen.

Theoretisch könnten noch die Großbanken, die chemische Schwerindustrie, der gesamte Ölsektor, Bergwerke und die Infrastruktur entstaatlicht werden, insgesamt 68 große Firmen. Besonders delikat ist der Finanzsektor, weil die Großbanken über ihre Investitionsfonds wiederum große Teile des Industriesektors besitzen. Deswegen kann in Tschechien noch nicht ernsthaft von einer tiefgehenden Privatisierung gesprochen werden: Von den 20 größten Industrieunternehmen kontrolliert der Staat 16 Firmen.

Unklar ist, welche Richtung der Privatisierungspolitik die Regierung einschlagen wird. Denn die Sozialdemokraten hatten in ihr Wahlprogramm ein Verzeichnis von 40 Betrieben aufgenommen, bei denen vor ihrer Privatisierung erst eine Umstrukturierung und Modernisierung stattfinden soll – mit anderen Worten: eine aktive Industriepolitik.

„Nicht erforderlich“ ist nach Ansicht der Sozialdemokraten die Privatisierung von Banken, Post, Telekom, Energieerzeugung, Strom- und Gasnetzen sowie der Kohle- und Uranbergwerke, der großen Stahlwerke und des Gesundheitswesens. Aber auch innerhalb der Regierung herrscht über das Antasten des „Tafelsilbers“ Uneinigkeit.

Die Umstellung vom Amt des Privatisierungs- zu demjenigen des Umweltschutzministers wird Skalický nach eigenen Aussagen nicht schwerfallen. Seine Hauptaufgabe wird die Beseitigung ökologischer Altlasten sein, die die von ihm privatisierten Betriebe verursacht haben. Dafür, so der Minister, würden in den nächsten Jahren 50 Milliarden Kronen benötigt werden, fast drei Milliarden Mark.