Die DDR überlebt auf Vinyl

■ Ost-Kultrocker finden reißenden Absatz. Für Schallplattenraritäten blättern die Fans schon mal 500 Mark hin. Westkonzern schlägt Kapital aus der Ostalgie

Das Ost-Sandmännchen im Ährenkranz lächelt von der Wand, ein Plakat wirbt für den Genuß von „Club-Cola“, und die Freie Deutsche Jugend fordert auf einem T- Shirt zum Tanz auf. Die DDR ist noch nicht vergessen – und schon gar nicht ihre Musik. Mitten im Herzen Berlins sind selbst längst verschollen geglaubte Ost-Beats noch zu haben. Im „Musikmarkt im Haus der Demokratie“ stehen sie in den Regalen, vom Schlagerstar Frank Schöbel über „Karat“ und Manfred Krug bis hin zum „Oktoberklub“. Auch sechs Jahre nach der deutschen Einheit finden sie reißenden Absatz.

Der in diesem Jahr gegründete Musikmarkt ist bereits der zweite Spezialist für „Ost-Mucke“ in der Hauptstadt. Alexander Buschner, Geschäftsführer beider Läden, hatte schon 1993 den Trend erkannt und mit Freunden im S- Bahnhof Friedrichstraße den „Musikmarkt unter den Gleisen“ gegründet. Damals löste sich die „DDR-Musik-Treuhand“ Deutsche Schallplatten GmbH auf. Ihre Vinylbestände wurden verramscht. „Wir haben damals alles aufgekauft, was zu haben war“, sagt Buschner.

Das Engagement hat sich gelohnt. Heute sind viele der alten Pressungen vom ehemaligen Rock- und Pop-Monopolisten „Amiga“ nicht mehr zu haben. Für absolute Raritäten werden dann auch schon mal 500 Mark auf den Ladentisch geblättert. „Das kaufen aber nur die Kenner“, meint Buschner. Normalerweise sind eher die gängigen Titel gefragt. Scheiben von „City“, Reinhard Lakomy oder den „Puhdys“ können schon für einen Zehner mitgenommen werden.

Selbst aus den entferntesten Winkeln der neuen Bundesländer kommen die Kunden, um sich mit „Ost-Stoff“ einzudecken. Von der Oma bis zu den Kids wollen sich alle an die Vergangenheit erinnern. „Natürlich ist da Ostalgie im Spiel“, sagt Buschner. Früher, als er noch im Archiv des VEB Deutsche Schallplatten arbeitete, habe er sich wie so viele Ostler kaum für Musik „made in GDR“ interessiert. „Heute kann ich bei den meisten Songs mitsingen.“

Aus alter und neuerwachter Begeisterung für die DDR-Rocker schlägt heute ein Westkonzern Kapital. Der „Amiga“-Fundus – die Rechte an über 2.500 Alben mit etwa 30.000 Titeln – ging Anfang 1994 an den westdeutschen Plattenriesen „Ariola“. Damit konnte ein Großteil der DDR-Musik auf dem Westmarkt weiterbestehen – wiederum unter dem Label „Amiga“. Die jetzigen internen Verkaufscharts von „Amiga“ lesen sich wie die Top ten aus DDR-Zeiten. „Von den Bands verkaufen sich immer noch die ,Puhdys‘ am besten, gefolgt von ,Karat‘ und ,City‘“, sagt Jörg Stempel von „Amiga-Marketing“.

Die größten Erfolge hat die Ariola-Tochter jedoch mit speziellen Ost-Samplern. Eine 15 CDs starke Zusammenstellung, die die Story des DDR-Kultsenders DT64 dokumentieren soll, erscheint im September. Bis vor einem Jahr setzte „Amiga“ voll und ganz auf die Vermarktung des alten Ost-Fundus. Jetzt starten die ersten Neuproduktionen. Diese werden in drei Jahren die Verkaufszahlen der alten DDR-Scheiben erreicht haben, schätzt Stempel. Zumindest bis dahin wird aber die DDR-Flagge noch über den Regalen im „Haus der Demokratie“ wehen. Imke Hendrich und

Andre Pätzold, dpa