Abseits von Häuserschluchten

■ Wer in Berlin sein Quartier aufs Wasser verlegen möchte, hat es nicht leicht: Bislang werden nur wenige schwimmende Wohnungen "geduldet" und Anträge auf neue Liegeplätze fast immer abgelehnt

Auf einem Boot leben! Wer denkt da nicht an Sophia Loren, wie sie Cary Grant in Technicolor becirct? Wer verfällt da nicht in Träume von der großen Freiheit? Doch wer in Berlin seine Freiheit auf dem Wasser sucht, braucht gute Nerven. Insgesamt gibt es laut Senat lediglich 43 schwimmende Wohnungen in Tiergarten, Wedding, Spandau und Köpenick.

Der „Plötzenseer Kolk“ ist einer von den vier Berliner Hausbootstandorten. Einen Steinwurf vom keineswegs heimeligen Berliner Westhafen entfernt, zwischen Autobahn und Plötzensee, kauern sich ein Dutzend Boote aneinander. Boote mit Hausnummern und Briefkästen vor dem Steg. Auf den Sonnendecks Gartenmöbel, Blumenkästen und Wäscheleinen. Ringsherum Bäume und Wasser, aber eben auch die Autobahn und Industrieschiffe auf dem Hohenzollernkanal in Sichtweite. Die meisten Bootsbesitzer sind zur Arbeit, nur der Hund paßt auf.

Auf manchen Booten wird aber auch gearbeitet. Im Hausboot Saatwinkler Damm 8 hat seit gut einem Jahr eine Akustik- und Trockenbaufirma ihren Sitz. Die drei Angestellten haben „erst mal dumm geguckt“, als sie ihr neues Büro sahen. Die Decke ist etwas niedrig, aber die Einrichtung mit Computer, Telefon und Fax ganz wie gewohnt. Demnächst will die expandierende Firma ein zweites schwimmendes Büro einrichten.

Auf dem Nachbarschiff sitzt die Maltherapeutin V. Ambord vor ihrem Computer und bearbeitet Graphiken. Ihre sechzig Quadratmeter Wohnfläche bieten normalen Komfort: vom HiFi-Turm über den Kühlschrank bis zur gekachelten Dusche. Das Abwasser läuft in ein Reservoir, das alle drei Wochen von einer privaten Entsorgungsfirma abgesaugt wird. Man kann aufrecht stehen und merkt kein Schwanken. Nur die Heizung bereitet manchmal Sorgen. Im vergangenen harten Winter, als die Eisschollen an den Wänden kratzten, war der Ölheizkörper überfordert. Das Boot soll daher bald besser isoliert werden. Das Ehepaar Ambord hat sich mit dem Boot einen alten Traum erfüllt. „Wir wollten kein Leben in Häuserschluchten und auch keine Nachbarn auf allen Seiten“, sagt Klaus-Dieter Ambord.

Über eine westdeutsche Firma haben sie ihr Boot aus alten DDR- Beständen erworben und hierherschleppen lassen. Um Streit mit den Behörden zu vermeiden, haben sie vieles in die eigenen Hände genommen. Die Uferbereinigung, Abwasserentsorgung und Müllabfuhr organisieren sie selbst. Stromkabel wurden mit Einverständnis der Bewag verlegt. Zur Schiffahrtspolizei hat man mittlerweile einen guten Draht, und auch vom Umweltamt wird man toleriert.

Zum Glück für die Hausbootler hat der neue Umweltsenator Strieder (SPD) die Duldungspolitik bisher nicht geändert. Das bedeutet: Solange nicht grob gegen Umweltvorschriften verstoßen wird, bleiben zumindest die beiden „großen“ Kolonien am Plötzensee und am Wehrgraben in der Nähe des S-Bahnhofs Tiergarten erhalten. Man will aber auch keinen Ausbau: „Die Standorte sollen keine billigen Ausweichquartiere zum Wohnen werden“, heißt es von Senatsseite. Anträge auf Liegeplätze werden dutzendweise abgelehnt, denn Wasserflächen gelten wie Waldflächen als Naturraum und werden daher nicht als Wohngebiete, sondern unter Umweltgesichtspunkten behandelt.

Wer also vom billigen Eigenheim auf dem Wasser träumt, sollte vorsichtig sein. Zwar braucht er nur rund halb soviel wie für eine entsprechend große Immobilie zu zahlen, aber ein dauerhaftes Wohnrecht hat er eben nicht. Vom Bootschwimmfähigkeitsattest über den Fäkaliennachweis und die Stegsicherheit bis zum Schiffahrtswegeausbau – die Möglichkeiten der Behörden zum Eingreifen sind groß. Berlin mag mehr Brücken als Venedig haben – mehr Hausboote als Amsterdam oder Hongkong wird es wohl nie bekommen. Georg Oppermann