■ Soll man wegen des Geldes das 13. Schuljahr opfern?
: Zeit verlieren, Zeit gewinnen

Die Schüler verlassen nach 13 Jahren die Schulen wie Landsknechte eine aufgelöste Armee, sagte kürzlich der Philosoph Peter Sloterdijk. Reinhart Lempp, der Nestor der Kinderpsychiatrie, gab erst vergangene Woche zu bedenken: „In Schulen wird noch immer das Selbstbewußtsein vieler Kinder nicht etwa aufgebaut oder erhalten, sondern vermindert oder ruiniert.“ Und schon vor einiger Zeit verglich der renommierte schwedische Bildungsforscher Torsten Husén die Fähigkeiten und das Wissen von Kindern in gutausgestatteten Stockholmer Gesamtschulen mit Leistungen von Kindern in Lappland, die nur die Hälfte des Jahres zur Schule gehen. Er konnte keinen Unterschied feststellen.

Darf man solche Befunde laut verkünden, wenn einige Ministerpräsideten erneut überlegen, das 13. Schuljahr aus rein finanziellen Gründen zu kappen? Lohnt es sich, darüber zu diskutieren, wenn selbst die Ministerpräsidentin aus dem SPD-Lager Gefallen an dieser Lösung findet? 1,2 Milliarden Mark soll das gestrichene Schuljahr den Finanzministern angeblich einfahren, meint Thüringens Ministerpräsident Vogel. Aber was fährt man am Ende ein, wenn man nur noch darüber diskutiert, was uns Bildung kostet?

Fest steht, die Ökonomie unserer Schulen ist verheerend. Jedenfalls wenn wir die Ökonomie der Zeit, der Lust, der Welterfahrung, des Lernens also, untersuchen. Vor allem die Ökonomie von Zeit und Lernen folgt einer eigentümlichen Paradoxie, die am besten Jean Jacques Rousseau formuliert hat: „Zeit verlieren heißt Zeit gewinnen.“ Weil man unter der Herrschaft von Lehrplänen und Stundenplänen niemals Zeit verlieren darf, wird unter deren Kommando so wenig gewonnen.

Die lineare Ökonomie des Plans und des Fiskus passen eben nicht zu dieser absolut nichtlinearen Ökonomie von Lernprozessen. Ein Lernen, das in der Schule nicht gerade zu Hause ist, zugegeben. Aber heute käme alles darauf an, aus Schulen Tempel des Lernens zu machen. Wenn sich nun die Finanzminister durchsetzten, siegte ein weiters Mal die grobschlächtige Linearität des Herrn Prokrustes, jenes antiken Wirts, der seine Gäste, damit sie exakt in das nach ihm benannte Folterbett paßten, entweder stauchte, dehnte oder ihnen Überlängen abschnitt. Reinhard Kahl