Das Weiße Haus steht noch

■ Vor den Kinos bilden sich Schlangen, die USA sind wieder mal im „Alien“-Fieber. Neue Kundschaft für Therapeuten

Nein, es wurden keine unbekannten Flugobjekte über Washington gesichtet. Das Weiße Haus steht noch, und den 4. Juli feierten Hunderttausende Amerikaner auf den Wiesen vor dem Kapitol ganz friedlich und ungestört bei Jazz und Marschmusik, Hot dogs und Hamburgers. Kein Raumschiff verdunkelte den Himmel.

Als in den USA das letzte Mal die Invasion aus dem Weltall angekündigt wurde – 1953 mittels eines höchst authentisch klingenden Hörspiels eines gewissen Orson Welles –, da packten die Leute in Panik ihre Koffer und versuchten zu fliehen. Heute packen sie Cola, Popcorn und ein paar Decken aus, um vorm Kino zu campieren – solange, bis sie ein Ticket für „Independence Day“ erstanden haben. Das „Uptown Theatre“ in Washington zeigte Hollywoods jüngstes Special-effect-Opus zwei Tage und Nächte lang rund um die Uhr auf einer Riesenleinwand. Die 1.100 Eintrittskarten für die Vorstellung um ein Uhr morgens waren schon vor Mitternacht ausverkauft. Wer leer ausging, legte sich auf den Bürgersteig, um die Wartezeit bis zur Vorstellung um vier Uhr zu verbringen. „Go aliens“, ertönte es immer wieder aus ein paar hundert Studentenkehlen. „Entweder sind wir Vollidioten“, johlte einer, „oder das hier ist der beste Film aller Zeiten.“

Die Frage entscheide, wer will. Die USA sind wieder einmal im „Alien-Fieber“, eine zyklisch wiederkehrende Erscheinung, die zeitlich stark an Sci-fi-Wellen der Unterhaltungsindustrie gebunden ist. Wann immer ein Film oder Buch mit extraterrestrischen Darstellern auf den Markt kommt, steigt die Anzahl der Berichte von „Augenzeugen“, die ein UFO gesichtet oder eine Unterhaltung mit Aliens geführt haben wollen. Wobei anzumerken ist, daß dieses Wort im Amerikanischen nicht nur für Außerirdische, sondern auch für unerwünschte Immigranten gebraucht wird.

Laut einer Umfrage der Zeitschrift Newsweek glauben 48 Prozent der Amerikaner, daß es UFOs gebe und die Regierung deren Entdeckung geheimzuhalten versuche; 29 Prozent sind der Überzeugung, daß Menschen Kontakt mit Aliens aufgenommen haben. Das Spektrum derer, die intelligentes Leben außerhalb der Erde vermuten, ist allerdings vielfältiger. Es reicht von Spinnern, die behaupten, Elvis Presley auf dem Planeten Uranus beim Verzehr von Brathähnchen gesehen zu haben, bis zu einer wachsenden Anzahl von durchaus reputierlichen Wissenschaftlern, die gerade die Entdeckung neuer Planeten in anderen Sonnensystemen auswerten.

Auf jeden Fall als Spinner sind solche einzuschätzen, die in Talkshows behaupten, von Aliens entführt worden zu sein. Newsweek- Autor Rick Marin wollte den Betreffenden umgehend den Gang zum Psychotherapeuten verschreiben – nur um festzustellen, daß einige der „Entführten“ die verdrängten Erinnerungen an ihr Kidnapping in teuren „Regressions- Therapiesitzungen“ ausgegraben haben. Nicht nur Therapeuten haben hier einen neuen Kundenkreis gefunden. Die Branche der „paranormal investigators“ wächst. Im Gegensatz zu Humphrey Bogarts Sam Spade suchen sie nicht nach Malteser Falken, sondern nach Marsmenschen.

Rationalität ist, wie man sieht, in der Neuen Welt derzeit nicht en vogue. Aber wen will das überraschen in einer Zeit, in der die First Lady Unterhaltungen mit Eleanor Roosevelt und Mahatma Gandhi führt – unter Anleitung einer „human potential“-Beraterin, die sich selbst für eine Nachfahrin der griechischen Göttin Athene hält. Andrea Böhm, Washington