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Ein Revancheakt gegenüber Boris Jelzin

■ Das russische Parlament kann das Beutekunst-Gesetz auch gegen das Veto von Präsident Boris Jelzin durchsetzen. Kinkel und Kunstexperten protestieren

Berlin (taz) – Für den Kultur- Chefberater des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse ist die Sache klar. „Beutekunst“, die die sowjetische Armee 1945 aus Deutschland in die Heimat transportierte, muß zurückgegeben werden. Die Rückgabe-Details sind in einem deutsch-georgischen Vertrag bereits ausgehandelt.

Ähnliche Verträge gibt es auch mit Rußland, doch die erklärte die Duma in Moskau vergangenen Freitag faktisch für null und nichtig. Mit nur zwei Enthaltungen gegen 303 Jastimmen beschloß das russische Parlament die im Zweiten Weltkrieg erbeuteten Kunstschätze zum Eigentum Rußlands zu erklären. Ein entsprechender Gesetzentwurf schmorte schon seit Monaten in den Ausschüssen. Daß die Duma, kaum daß Jelzin gewählt wurde, den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzte, überraschte dann doch die Experten.

Der Direktor der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen, Wolfgang Eichwede, wertete den Duma-Beschluß gegenüber der taz als einen „Revancheakt“ der im Parlament dominierenden kommunistischen und nationalistischen Kräfte. „Sie wollen Jelzin in Schwierigkeiten bringen.“ Selbst wenn der Präsident sich jetzt weigern sollte, das Gesetz zu unterzeichnen, oder gar ein Veto einlegt, sei es nach russischer Verfassung möglich, das Gesetz durchzuziehen, wenn dafür sowohl im Parlament als auch im Föderationsrat eine Zweidrittelmehrheit zustande komme. „Dafür sind die Aussichten gut.“ Sollte dies passieren, meint Eichwede, „schadet Rußland nicht nur Deutschland, sondern vor allem sich selbst. Denn es würde seine eigene Verläßlichkeit in Frage stellen“, würde sowohl die sowjetischen als auch die postkommunistischen Verträge auf den Kopf stellen. „Es ist doch absurd, daß alles im Land privatisiert, aber die Beutekunst nationalisiert wird.“

Eichwede wies darauf hin, daß der Gesetzentwurf nicht nur die Rückführung von „offiziell“ geraubten Kunstschätzen unmöglich macht, sondern auch die Rückgabe des von sowjetischen Soldaten „auf eigene Faust“ geraubten Kulturgutes bei Privatleuten oder Privatsammlungen. Dies sei eine erhebliche Verschärfung gegenüber der Form der „restitution in kind“ (Ersatz für den von Deutschen in der Sowjetunion zerstörten Kulturbesitz), wie sie im vergangenen Jahr in Rußland diskutiert worden ist. Vor einer Belastung der deutsch-russischen Beziehungen warnte gestern auch Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP). Wenn dieses Gesetz verabschiedet werden sollte, „stünde es im klaren Widerspruch zum allgemeinen Völkerrecht“, erklärte er in der Welt am Sonntag. Anita Kugler

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