Politische Sinnlichkeit und Gefahr

■ Betrachtungen zum Symposion „Politische Ikonographie“ im Warburg-Haus

Zum Abschluß der 2. Förderphase des Graduiertenkollegs „Politische Ikonographie“ wurden am letzten Wochenende Wissenschaftler aus Rußland, Österreich und Deutschland zu Vorträgen und Diskussionen geladen: Sabine Arnold, Christian Fuhrmeister und Dietmar Schiller organisierten das interdisziplinäre Symposion unter dem Motto: Wollt ihr das totale Bild? Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Vier Tagungs-Blöcke umfaßte das Programm im Warburg-Haus, dessen genius loci überall spürbar blieb: Theoretische Vorklärungen, Sowjetunion, Weimarer Republik/Nationalsozialismus und Telekratie.

Politische Inszenierungen (Parteitage, Staatsakte) tragen in ihrem gattungsübergreifenden Zusammenspiel entscheidend zur Manifestation von Herrschaft und zur Ausformung politischer Öffentlichkeit bei. In der Kunstgeschichte beschäftigt sich die politische Ikonographie mit der Funktion von Kunst und Medien im politischen Raum. Sie analysiert die Produktion, Aneignung und Wahrnehmung von Bildwerken und damit die politischen Dimensionen visueller Strategien. Dem waren die zwölf Vorträge gewidmet.

Zu Beginn steckte Martin Warnke das Feld der Erscheinungsformen des politischen Lebens ab: Es handelt sich bei der Untersuchung von „Techniken des Machterhalts und der Propaganda“ um eine „Demonstrationskultur“ die versucht, aus der ursprünglichen, anarchistischen Propaganda der Tat Massenwirksamkeit zu gewinnen. Seine Erörterungen machten deutlich: „Der Inszenierungs- und Propaganda-Vorwurf kann selbst Propaganda sein.“ Seine Diskurs-Belege reichten von der ideologischen Einsetzung der angeblichen Hetze der Völker gegen Deutschland nach dem I. Weltkrieg bis zu den Inszenierungen des Reichskunstwartes im III. Reich.

Dieserart eingestimmt ergriff der „Nestor der Politischen Ikonographie“, Reinhart Koselleck, das Wort: „Politische Sinnlichkeit“ wollte er als „Einsammeln der eigenen Folgelasten“ verstanden wissen und setzte sich mit erkenntnistheoreti-schen Entwürfen zur „Skala der Sinne“ seit der Aufklärung auseinander. Nach dem Befragen der Sinne auf ihre Wirksamkeit zwischen leiblicher und geistiger Erkenntnis kam er zu der Schlußfolgerung, „daß das Politische an der Sinnlichkeit ambivalent ist: Die Sinne sind sowohl individuell, funktionieren aber auch als soziale Vermittler und stiften das notwendige Gegenüber selbst.“ Zum zentralen Begriff machte er die Kategorie der „Empfangsbereitschaft“. Eine Bestimmung des Ekstase-Begriffs, als einer Form verräumlichter Sinnlichkeit, blieb leider aus.

Nach Ausführungen zu Strategien in der Sowjetunion, der DDR und der NS-Kunst folgte der mit Spannung erwartete Part zur „Telekratie“. Gerne hätte man von dem Politologen Ulrich Sarcinelli Profundes über das „aktuelle Politik-Vermittlungsgeschäft“ gehört. Statt dessen Spekulationen: Der Golfkrieg – einzig in einem Nebensatz erwähnt – wäre doch Anlaß, hier über die Inthronisierung der Lüge als neuem Parameter von Wort und Bild zu diskutieren! Die Krisen in Wissenschaft, Kunst und Kunstgeschichte erscheinen unter anderem vor dieser Folie. Auch die Ausführungen von Schiller zur „Präsentation des Parlaments im Fernsehen“ verdeutlichten eine Falle, in die auch viele Künstler tappen: Wer neue Medien mit den Mitteln der neuen Technologien kritisieren will, erliegt schnell ihrem Faszinosum.

Erfrischend dagegen der Diskurs des Kulturwissenschaftlers Thomas Macho. Schlicht „Von der Elite zur Prominenz“ genannt, erörterte er eine brisante Schnittstelle der Gegenwart: Die Produktion von Gesichtern schafft neue Ordnungen zwischen passiver Elite (erwählt) und aktiver Prominenz (Leistung). In diesem Spannungsfeld geht es „bei den Prominenzstrategien um Aufmerksamkeitsprivilegien gegenüber den Eliten“. Den Werbestrategen stellen sich bei der „Gesichtswäsche im Wahlkampf“ nur noch zynische Fragen: Mit welchem Gesicht kann man heute noch Politiker werden? Was passiert, wenn man es verliert?

Als Versuch, sich den historischen Themen zu stellen, war diese Tagung gelungen. Das Logo der Veranstaltung aber wies auf ein strukturelles Defizit hin: Staecks „Wollt ihr das totale BILD?“-Plakat von anno dazumal ist der Sticker einer Wissenschaftler-Generation, die heutige Medien von Standpunkten aus betrachtet, die in ihrer wilden Zeit aktuell waren. Die neuen Fragestellungen zur politischen Ikonographie im Medienzeitalter müßten aber verstärkt mit Fachleuten aus Psychologie und Kunst(-vermittlung) weiter verfolgt werden, die den aktuellen Stand der Informationsgesellschaft reflektieren können. Gunnar F. Gerlach