Mehr Mut zum Märchen

■ Das Zelttheater „Metronom“ spielt den „Drachen“, einen blutarmen Zwitter aus Groteske und Märchen

Eine klassische Parabel auf ein totalitäres System, eingekleidet in ein märchenhaftes Gewand, sollte es werden. „Der Drache“, ein Stück des russischen Schriftstellers Evgenij L. Svarc, entstanden in den 40er Jahren, durfte unter Stalin nicht gezeigt werden. Dessen Zensoren hatten keine Mühe zu erkennen, daß die Mär von der vom Drachen belagerten Stadt, deren Einwohner sich durch Gehorsam einen falschen Frieden erkaufen, deutliche Parallelen zu Stalins Unterdrückungsapparat aufwies.

Bis Ende der Woche gastiert das Zelttheater „Metronom“ mit dem Stück auf den Osterdeichwiesen. Leider funktioniert es weder als Groteske noch als Märchen, wie es sollte: Die choreographischen Einfälle – etwa der auf die rückwärtige Zeltwand projizierte Kampf zwischen Lancelot, der kommt, um die Stadt vom Tyrannen zu befreien, und dem Drachen – sind dünn gesät. Und die Sehnsucht des erwachsenen Publikums nach Verwunschenem, nach Zaubermacht und Hexenkraft wird auch nicht recht bedient.

Die runde Bühne ist karg, das Dekor nüchtern. Lancelot fällt im fulminanten Debüt in Fallschirmspringer-Montur auf die spärlich möblierte Bühne. Dort fungiert ein den ganzen Bühnenraum ausfüllender Propeller mal als Tisch, als Wippe, als dynamisierendes Element. Ein naheliegendes Requisit in einem Stück um Machtverhältnisse: Wann schlägt die Wippe um zugunsten des Mächtigeren?

Drei rumänische Musiker in schwarzen Anzügen sorgen mit Akkordeon, Gitarre und Geige für schmissige Rhythmen, ZigeunerJazz. Mal setzen sie effektvoll musikalische Akzente, mal kommen sie auf die Bühne, um Dialoge und entscheidende Wendungen zu untermalen. Und das schauspielerische Defizit auszugleichen, das manchem in der Metronom-Truppe anzusehen ist. Denn so wenig sich Lancelots Motivation, den Drachen töten zu wollen, dem Zuschauer mitteilt, so wenig glaubwürdig ist die schöne Elsa – eine barfüßige Inkarnation des guten Mädchens, das alle heiraten wollen. Wenn sie über ihre Gefühlslage monologisiert – wen liebe ich, wen fürchte ich? – will leider keine Tiefe entstehen. Soll ja gar nicht bei einer Groteske, ließe sich einwenden. Doch in diesem Fall hätte die Elsa sich auch so zu benehmen und nicht zu versuchen, der Rolle noch lyrische Seiten abzugewinnen. Grotesker schon ihr Vater, ein opportunistischer Archivar, der es mit viel Lavieren schließlich zum Gefängniswärter des Drachen bringt.

Das überzogene Moment ist auch dem servilen Sohn des Bürgermeisters, gleichzeitig beim Drachen Mann fürs Grobe und vergeblicher Aspirant auf Elsas Hand, schon besser gelungen. Mit lachhaft überdimensionierter Dienstmütze, schnittigem Gehabe und markigen Sprechblasen verkörpert er den Nachwuchs-Fiesling aufs widerlichste.

Der Drache selbst? Ein schmales Handtuch im giftgrünen Mantel, das mit leicht gebrochenem Deutsch und hackenschlagenden Gehabe nicht sehr viel Angst verbreitet, ein Popanz.

Svarcs Stück ist thematisch ein alter, dennoch gut sitzender Hut. Und weil man die pädagogisch wertvolle Groteske um menschliche Niedrigkeit, Duckmäusertum und die Lust an der Macht ziemlich schnell als solche durchschaut – leichte Arbeit für Stalins Zensoren –, hätten der Umsetzung mehr Märchenhaftes und Opulenz gut getan. Damit können immerhin die bittersüßen Harmonien des Trios aus Rumänien dienen. Alexander Musik

bis 14.7., Zelttheater auf den Osterdeichwiesen, 20.30 Uhr