■ Tippgemeinschaften brauchen einen Vorstand
: LottoOrdnung muß sein

In der Serie „Deutschland – Deine Dokumente“ bringen wir nun die 458. Folge. Endlich gibt es sie nämlich, die LottoCard (jawohl, geschrieben mit Binnenmajuskel, also orthographisch jenseits jeder Rechtschreibreform), und was viel aufschlußreicher ist: Es gibt ein Faltblatt, das dazu einlädt und auffordert, eine LottoCard zu bestellen. Dazu später mehr.

Der LottoLaie fragt sich natürlich sofort: Welche Existenzberechtigung hat denn eigentlich die LottoCard? Tragen wir nicht alle längst viel zu viele Karten bzw. Cards mit uns herum, Plastikscheiben eines Formats, das in seinem weltumspannenden Gleichmaß Zeugnis ablegt von der weltumspannenden, letztlich jeden Einzelnen einholenden Formnorm? Nein. Die LottoCard muß sein. Denn es hat sich gezeigt, daß nach der Einführung des Online-Tippens viele LottoSpielerInnen es versäumen, ihren Gewinn abzuholen, weil sie gar nicht gemerkt haben, daß sie trotz Wahrscheinlichkeitsrechnung und Blitzeinschlag gewonnen haben.

Kein Name, keine Adresse erscheint mehr auf dem Registrierschein, so daß niemand benachrichtigt werden kann. Automobile und Reisen im Wert von zig Millionen Mark haben so in den vergangenen Monaten nicht den Weg zu ihren rechtmäßigen Besitzern gefunden. Ein Skandal, wenngleich der größere Skandal selbstredend darin besteht, daß die LottoGesellschaften offensichtlich die Strategie verfolgen, durch das Online- System die Notwendigkeit der LottoCard erst zu schaffen, mit dem Ergebnis, so im Handumdrehen über eine veritable Zahl von Adressen zu verfügen, die man beispielsweise zukleistern kann mit Angeboten für Reisen und anderen SuperSonderangeboten. (Jaha, wir Paranoiker sind der Realität immer einen Schritt voraus!)

Was nun das dem Faltblatt beiliegende Bestellformular für die LottoCard einzigartig macht, mindestens für die Sprach- und Wirklichkeitsforscher unter uns, ist der Umstand, daß man neben den anzukreuzenden Kästchen für „Frau“ und „Herr“ ein drittes brauchte für „Tippgemeinschaft“. Wie, grübelten die Gestalter des Formulars, wie bezeichnen wir nun den Menschen, der seinen Namen da reinschreibt, stellvertretend für die Mitglieder der Tippgemeinschaft? Nennen wir ihn Chef, nennen wir ihn Sprecher oder Kassenwart oder ... oder Führer? Sieht dumm aus und erinnert zumal an die schweren Jahre ab 33. Nein, die Damen und Herren ließen sich was sehr Apartes und meines Wissens bislang nicht Existierendes einfallen: Sie schrieben hinter dem Kästchen und hinter dem Wort Tippgemeinschaft in Klammern „Federführer“. Mag es kein Mensch auf dieser Welt lustig finden außer mir, sei's drum. Ich mußte lachen. Obwohl: FederführerIn wäre noch eine Spur aparter gewesen. Dietrich zur Nedden