Fähnchenschwenken für die Friseure

■ Franziska Charmshrabal? Felicitas Hoppe, Mitpreisträgerin von Klagenfurt, entwirft in ihrem ersten Geschichtenband kleine Verunsicherungen am Reißbrett

Es gibt eine Reihe von Merkwürdigkeiten in Felicitas Hoppes Miniaturen. In jeder Geschichte verliert man mindestens einmal den Faden, erst ohne es zu merken, dann muß man aber doch wieder weiter vorn beginnen. Die Sprache ist treffend, klar und einfach, trotzdem spürt man in jedem Satz die Arbeit, die in ihm steckt. Wiederholte Destillation hat hier eine ausgedünnte, entschlackte Erzähllinie erzeugt, in der jedes Wort ganz bewußt an seinem Platz steht und in der das Fleisch des Ausschweifens strengstens verboten ist. Manchmal drängt sich trotzdem Nebensächliches in den Vordergrund und denkt dann nicht mehr daran, sich von dort zu verziehen.

So sind es lauter kleine Irritationen, denen der Leser hier ausgesetzt ist, man schüttelt sich kurz, dann liest man weiter – bis man das nächste Mal stolpert. Und nicht die Geringste der Merkwürdigkeiten ist, das fällt einem aber erst gegen Ende auf, daß fast alle Geschichten von der gleichen Länge sind, vier Druckseiten lang: krude Comics, gezeichnet mit feinen Linien, im immer gleichen Format.

Die Welt dieser Texte, obwohl – schon wieder merkwürdig! – beziehungslos zu dem, was im sogenannten Leben, dem zeitgenössischen vor allem, so stattfindet, ist doch klar umrissen. Erzählt wird fast immer von einem Kind, es berichtet aus dem Familienleben, Eltern, Tanten, Onkels und Geschwister bevölkern die als normal geschilderte, aber aberwitzige Szenerie. Sie ist von (tendenziell sexuellen) Übergriffen, Mißachtung der kindlichen Privatsphäre, Enge, Grobheit und Gefühllosigkeit, einer gewissen Armut, einer gewissen Hermetik geprägt.

Dann gibt es da noch die Verwegenen, die von weither kommen, von Wallungen des Blutes und Abenteuern des Geistes künden. In der Titelgeschichte etwa sind das die Friseure, die das Dorf in Aufruhr versetzen, wie es einstmals nur der Zirkus schaffte: „Jedes Jahr im Mai kommen die Friseure. Wir möchten Fähnchen schwenken wie sie und weiße Kittel tragen mit demselben Stolz.“ Die Großmutter zieht die Vorhänge zu, die Jugend des Dorfes zieht trotzdem los, erlernt das kühne Handwerk und erfährt so auch von den winterlichen Schattenseiten des Friseurberufs.

Kruder noch geht es in der Geschichte vom Balkon zu, wo der Hausverwalter das Kind in einer Schlange entdeckt und es dauernd auf den Kopf schlagen will, weil seine Familie so schlimm ist. Das ist allerdings wahr. Die Mutter sammelt Kurzwaren, der Vater säuft und prügelt, und die Tante verpflegt die Familie, indem sie ihren Balkon an Frischluftfanatiker vermietet, die meist von dort hinunterstürzen. Die Schaulustigen werden dann zusätzlich um milde Gaben gebeten.

Man wird während der gesamten Lektüre das Gefühl nicht los, daß die Geschichten in einer schon weit zurückliegenden Vergangenheit spielen, vielleicht in der Zeit von Robert Walser – oder noch früher? Das Buch eines Hobbygelehrten über den gemeinen Feldhasen kann da noch Furore machen. Wenn man Felicitas Hoppe böse will, könnte man ihre Miniaturen manchmal auch putzig nennen, besser sagt man, sie sucht nach maximaler Fremdheit im Vertrauten. Der Verlag selbst spricht es im Klappentext aus, als Vorbilder werden dort die beiden russisch- deutsch-tschechischen Erzähler Franz Charms oder Danlil Hrabal genannt, man müßte unbedingt noch Bohumil Kafka hinzunehmen. Immer wiederkehrende Gebärden der Figuren stimmen zum Teil exakt mit der bei den Vorbildern entwickelten Gebärdensprache überein. Bei Felicitas Hoppe halten die Figuren meist den Kopf zwischen den Händen, sie schwenken Tücher zum Abschied oder scharren mit den Füßen. Sie tun das, weil sie nicht sprechen können, mit diesen Gesten aber sagen sie alles.

Die Geschichten von Kafka und Charms verdanken ihren ungebrochenen Reiz dem Umstand, daß die Sprache hier abbildet, wie sie sich in sich selbst verschließt, wie sich manche Dinge nicht mehr sagen lassen, begleitet wird das von einem stark schmerzhaften Gefühl, das man existentiell nennen kann. Felicitas Hoppe schreibt weiter an dieser Welt. Allerdings fehlt mittlerweile die ungeheure Spannung zwischen Innen- und Außenwelt, die Geschichten, so grotesk und bizarr sie sind, wirken wie am Reißbrett entwickelt. Das spricht nicht gegen Felicitas Hoppe, aber dafür, daß auch Kafkas und Charms' Welt einmal untergehen. Peter Michalzik

Felicitas Hoppe: „Picknick der Friseure. Geschichten“. Rowohlt Verlag, Reinbek 1996, 96 Seiten, 28 DM