„Freßt, freßt, freßt, bis ihr platzt!“

■ Unter dem Namen KanAK startet die Kreuzberger Rapgruppe Islamic Force in die Türkei

„Vor einem Jahr saßen wir bei Derezon herum, und plötzlich lief bei Viva TV so ein Clip der Kölner HipHop-Gruppe TCA. Mit genau unserem Baris-Manco-Sample.“ Dann erschien Cartel – wieder mit einem Sample von Islamic Force. Über 350.000 Kassetten verkaufte Cartel in der Türkei, und in Deutschland feierten die Zeitungen den neuen „Oriental HipHop“. „Das hat uns ziemlich aufgeregt“, bekennt Boe B. Neue Texte entstanden: „Noch stehen die Falschen auf der Bühne. Wo ist der wahre HipHop? Die Antwort ist 36.“

Islamic Force begann Mitte der achtziger Jahre als Kreuzberger Posse. Gemeinsam mit dem Türken Boe B. sampelte dort der Deutsch-Portugiese DJ Derezon Melodien des türkischen Altrockers Baris Manco und rappte dazu auf englisch. 1989 kam die Maxi „My Melodie/Istanbul“ heraus, und bald stand Islamic Force im Zentrum der türkischen HipHop- Szene von Kreuzberg 36: bei der „To Stay Here Is My Right Posse“, die nach dem Tod von Mete Ekși 1991 entstand, oder bei der senatsgeförderten Aktion „HipHop-Aktivisten gegen Gewalt“. „Wir haben bewußt nicht so produziert, daß es in die Charts kommt“, erzählte Derezon damals dem HipHop-Forscher Dietmar Elflein. „Wir wollen keinen neuen Modegag: ,orientalischer HipHop‘.“

„Ein halbes Jahr hat es gedauert, sie zu überzeugen, aus dem Underground herauszukommen“, erzählt ihr Manager Khan. Als erstes mußte der Name „Islamic Force“ geändert werden. Man hätte ihn in der Türkei mit Islamisten assoziiert. „KanAK“ wird man in Deutschland als „Kanake“ verstehen und in der Türkei als „Fließendes Blut“. Dieser Tage muß für den türkischen Markt noch rasch wenigstens ein Stück produziert werden, das mit der Türkei zu tun hat: eine Coverversion von „Hadi Bakalim“, jenes Lied, mit dem Sezen Aksu in der Türkei vor fünf Jahren die große Popwelle auslöste. Der darüber gerappte Text ist freilich neu und richtet sich – höchst aktuell – gegen korrupte türkische Politiker: „Freßt, freßt, freßt, bis ihr platzt!“

Anfang August, nach einem Jahr Arbeit und Geschlunze, soll die neue CD/MC endlich erscheinen. Nur: Am gleichen Tag, an dem Manager Yüksel in der Türkei das fertige Mastertape übergeben soll, wird Hakan wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen für 222 Tage in den Knast gehen. Die Türkei-Tournee im August und September muß ohne ihn stattfinden. „Wir leben all das durch, was zu richtigen Rappern gehört“, meint Boe B. „In den USA ist Knast ja gut für den Verkauf, aber in der Türkei...?“ „Meine Musik ist smooth, aber mein Ausdruck hart. Ich kann nicht anders, denn ich lebe in Kreuzberg. Ich kann nicht anders, denn ich fing an in Kreuzberg.“ Martin Greve