■ Glosse
: Rassentheoretiker

Sommerzeit, Forscherzeit! Wochen der Brüderlichkeit brechen an. Nun kennen die Deutschen kein Halten mehr, keine Parteien und Klassen. Das deutsche Volk hat endlich wieder Muße, das zu tun, wofür ihm 49 Wochen im Jahr schlicht die Zeit fehlt. In seltener Eintracht beschäftigt es sich mit den Ausländern – mit denen des Auslands. In jener Gegend also, wo der Ausländer, die Natur und das Klima noch im Einklang leben.

In Heerscharen durchstreifen die Deutschen als Mentalitätsforscher und Rassentheoretiker den Planeten. Aufgeschlossen stecken sie ihre verbrannten Nasen in die abgelegenste Elendshütte Perus, stapfen durch die Savannen Kenias, scheuen keine Mühe, den Berbern im Maghreb ihre Aufwartung zu machen. Unermüdlich sind sie auf der Suche nach einem stolzen Stamm, dem wahren Fisherman, der frisch, kulturell und genetisch unverdorben nichts anderes will, als seinem Naturell und seiner biologischen Bestimmung zu folgen.

Sommerzeit. Das sind die Wochen der kollektiven, altdeutschen rassenhygienischen Einigkeit. Der Linksintellektuelle, der Bildungsbürger und der Autonome beklagen den Verlust des Authentischen. Während ihrer Exkursionen mutieren sie zu treuen Anhängern der Nouvelle Droite, erstellen Hierarchien der Kulturen, werden zu glühenden Verfechtern des Ethnopluralismus – „Korsika den Korsen“, die „Sahara den Tuaregs“, „Deutschland den...“, na, na, „Kurdistan den...“. Jeden Sommer aufs neue verbrüdern sich gestandene Internationalisten mit tumben Hinterwäldlern, machen mit ihnen gemeinsam Front gegen die Aufgeklärten des Landes, die mit ihrem westlichen Lebensstil ihr Volk so verrieten.

Urlaubszeit, das sind auch für mich „die schönsten Wochen des Jahres“. Wo besser als im Ausland kann ich meine MitbürgerInnen kennenlernen und studieren? Wenn sie dem kleinen, abgerissenen Ahmed aus Essaouira erklären, welch schönes Leben er doch hier an der Atlantikküste unter all den Marokkanern führt. Die Tomaten schmeckten noch wie solche, die Luft sei sauber, die Menschen noch sooo natürlich und gut. Wenn sie die Doppelmoral des Westens anprangern, wortreich das Sündenbabel Deutschland beschreiben, wo die Tomaten nicht nur nicht nach Tomaten schmecken, sondern es auch die Ausländer nicht leicht haben.

Wie schön, daß zu jeder Reise das lange Warten in der Flughalle gehört. Langsam mutieren die Forschungsreisenden wieder zu Bankangestellten, Sozialarbeitern, Versicherungsagenten. Und das ist gut so. Eberhard Seidel-Pielen