Friedensforscher veröffentlichen Gutachten

■ Verhängnisvolle Verdrängung der UNO durch eine sich erweiternde Nato

Wie in jedem Jahr, so ist jetzt wieder ein „Friedensgutachten“ erschienen, in dem drei Friedensforschungsinstitute ihre Ergebnisse zusammentragen: die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universtität Hamburg.

Man befürchte kein neues Evangelium des Friedens, in dem dieses Wort so oft vorkommt, daß man unwillkürlich zu gähnen anfängt! So ist das Buch nicht geschrieben. Es ist im Gegenteil von vorn bis hinten hochinteressant: In 23 kurzen Bulletins werden einmal um den Globus herum die kriegs- und friedensträchtigen Faktoren, so, wie sie sich im vergangenen Jahr dargestellt haben, beleuchtet. Man wird besser informiert, als wenn man sich 365mal die sinnzerfetzende Tagesschau angesehen hätte. Man hat ein Kompendium über die Weltpolitik in der Hand, das von deren Komplexität nicht erschlagen wird, sondern ihr durch die Achse: Was läuft auf Krieg, was läuft auf Frieden hinaus? eine Struktur gibt.

Dabei kann man natürlich darüber streiten, welche Vorgänge auf welche Seite gehören – und das tun die Autoren denn auch. Sie treten keineswegs unisono auf, sondern sind verschiedener Meinung, zum Beispiel über die Bedeutung von Ifor, dieser Initiative, die so segensreich gewirkt und doch so problematisch die Vereinten Nationen unterminiert hat.

Die Sorge um die Zukunft dieser Weltorganisation durchzieht das Buch; es befaßt sich an vielen Stellen mit dem Schwund ihrer Autorität. Die USA isolieren sich, Europa schließt sich zur Atommacht zusammen, die Nato erweitert sich nach Osten – überall gibt es Tendenzen, die von einem foedus pacificum, wie ihn Kant anstrebte, ablenken.

Auch die mentalen Tendenzen, die den Frieden bedrohen, werden im „Friedensgutachten“ nicht vergessen, und einer seiner interessantesten Beiträge behandelt die „schillernde Rede von der Normalisierung Deutschlands“.

Was der Leser vermißt, ist ein Text über die Waffenproduktion, zumal die deutsche. Das groteske Mißverhältnis zwischen den von unserem Land ausgehenden Friedensbemühungen und dieser scheußlichen Einnahmequelle hätte man in diesem Rahmen gern dargestellt gefunden. Auch wüßte man gern, was die Friedensforschung davon hält, daß die Bundeswehr in eine Berufsarmee umgewandelt werden soll. Sibylle Tönnies

„Friedensgutachten 1996“. Herausgegeben von Bruno Schoch, Frieden Solms und Reinhard Mutz. Lit Verlag, Münster 1996, 388 Seiten, 24,80 DM